Buenos Aires hat bereits fünf der begehrten Blocks, Wien macht den ersten Schritt mit einem „Supergratzl“, London zieht nach mit „Low-Traffic Zones“ und die Schweiz will sie auch – ohne Frage erregen die Superblocks internationales Aufsehen. Wie einfach ist das Konzept übertragbar und wäre es auch eine geeignete Maßnahme für die Kölner Veedel? Der Berliner […]
Superblock goes Veedelsblock: Das Konzept aus Barcelona auch für Köln?Buenos Aires hat bereits fünf der begehrten Blocks, Wien macht den ersten Schritt mit einem „Supergratzl“, London zieht nach mit „Low-Traffic Zones“ und die Schweiz will sie auch – ohne Frage erregen die Superblocks internationales Aufsehen. Wie einfach ist das Konzept übertragbar und wäre es auch eine geeignete Maßnahme für die Kölner Veedel?Der Berliner Verein Changing Cities startet eine großangelegte Kiezblocks-Kampagne: 180 Kiezblocks sollen über die ganze Stadt verteilt werden. Auch in Köln sind die Menschen müde von Autolärm, Abgasen und Asphaltwüsten – sie wünschen sich mehr Grün, mehr Leben, mehr Aufenthaltsqualität. Zahlreiche Initiativen setzen sich für einen lebendigen und lebenswerten städtischen Raum ein. Da kämen die Veedelsblocks nach dem Beispiel von Barcelona doch wie gerufen, oder?
Köln ist nicht Barcelona
Nicht nur die geografische Lage unterscheidet die beiden Metropolen. Ein großer Unterschied liegt in der Bebauungsstruktur. Die moderne Planstadt Eixample ist Barcelonas zentraler Stadtbezirk. Er wurde Mitte des 19. Jahrhunderts von Idlefons Cerdà geplant: quadratische Häuserblöcke mit abgeschrägten Ecken und den typischen Modernisme-Bauten. In seinen Plänen war nur die Bebauung von maximal zwei Seiten vorgesehen; die Innenhöfe sah er als grüne Parks und Freiflächen vor. Leider blieb seine Vision der grünen Stadt auf dem Papier, denn wer heute in Eixample unterwegs ist, findet teils doppelt so hohe Wohnblocks vor, die von allen Seiten den ebenfalls versiegelten Innenhof umschließen. Eixample wurde so zu einem der Orte mit der höchsten
Bevölkerungsdichte von ganz Europa.
Ein weiterer bedeutender Unterschied liegt im Grünflächenanteil der beiden Städte. Während für Barcelona einer der ausschlaggebenden Gründe für die rasche Umsetzung von Superblocks der drastische Mangel an Grünflächen ist, haben die Kölner mit
16 Prozent Grünfläche noch deutlich mehr Parks zum Durchatmen. In Barcelona sind es gerade einmal ein Prozent – durch die stadtweite Umsetzung von Superblocks soll der
Anteil urbanen Grüns auf 15 Prozent heranwachsen, Hitzeinseln entgegenwirken und die Lebensqualität der Bewohner verbessern.
Die Vision: grüne Achsen und grüne Plätze im dicht besiedelten Stadtbezirk Eixample. Quelle: Ajuntament de Barcelona. Auch in der politischen Verwaltungsstruktur liegt ein bedeutender Unterschied, der sich maßgeblich auf die Umsetzung von Superblocks auswirkt. Seit geraumer Zeit arbeitet die Verwaltung von Barcelona daran, Verwaltungseinheiten zu schaffen, die transversal arbeiten. Konkret bedeutet das: Ökologie, Urbanismus, Infrastruktur und Mobilität wird zu einem Organ zusammengefasst, um ineinandergreifende Themen bearbeiten zu können. So wird die Planung und Umsetzung von Projekten wie den Superblocks stark vereinfacht, denn Grünfläche, Verkehr und Straßenmobiliar wird an derselben Verwaltungsstelle zusammengedacht. In Deutschland steht die Verwaltungsstruktur einem reibungslosen Ablauf oft noch im Wege, wenn verschiedene Ämter für die verschiedenen Elemente der Intervention zuständig sind.
Wieso Superblocks in Köln
Die Erfahrung hat gezeigt, dass das Konzept der Superblocks auch auf Städte mit unterschiedlicher Bebauungsstruktur anwendbar ist. Die erfolgreiche Umsetzung in der baskischen Stadt Vitoria-Gasteiz zeigt: Die schachbrettförmige Bebauung von Barcelona ist kein Muss, um Superblocks einzuführen. Sie vereinfacht vielleicht die Planung – dennoch funktioniert das Konzept auch anderswo.
Auch wenn sich die Kölner dank zahlreicher Parkanlagen an einem größeren Grünflächenanteil erfreuen dürfen, sieht es in den Wohngegenden oft deutlich grauer aus. Die Fläche zwischen den Gebäuden ist fast ausschließlich dem motorisierten Verkehr vorbehalten, was Aufenthaltsqualität stark reduziert. Die Vision der „autogerechten Stadt“ ist an Köln nicht spurlos vorbeigegangen und die Priorisierung des motorisierten Verkehrsflusses ist allerorts spürbar.
Bäume gibt es, dennoch nimmt der MIV überproportional viel Platz ein. Bild von Jörg Thiemann-Linden. Eine direkte Folge dieser Priorisierung sind: Lärm, Abgase, Unfälle. Im Jahr 2021 sind in Köln sieben Menschen im Straßenverkehr tödlich verunglückt, um Vorjahr waren es doppelt so viele. Auch die Summe der schwerverletzten Menschen liegt bei rund 700 (
Verkehrsunfallstatistik 2021). Die Unfallursache „Geschwindigkeit“ fällt hier deutlich ins Gewicht. Um unsere Stadt sicherer zu gestalten, ist einer relevanten Faktoren die Reduzierung von Geschwindigkeiten, insbesondere bei den motorisierten Fahrzeugen und in bewohnten Gegenden.
Superblocks sind ein Instrument für genau das: Sie reduzieren das Tempo in Wohngegenden und verringern den reinen Durchgangsverkehr. Darüber hinaus schaffen sie Aufenthaltsqualität durch eine neue Nutzung der Flächen, die vorher dem motorisierten Verkehr vorbehalten waren.
Nicht umsonst heißt es „Köln ist ein Jeföhl“ und nicht umsonst lieben die Kölner:innen ihre Veedel. Es gibt zahlreiche Beispiele von Superblock-artigen Verkehrsberuhigungen, zum Beispiel durch Diagonalsperren, die den Durchfahrtsverkehr verhindern und dadurch eine lebendige und vernetzte Nachbarschaft ermöglichen.
Was wir schon in Köln haben
Zur Inspiration haben wir eine Runde durch Köln gedreht und verschiedene „Quasi-Superblock-Gebiete“ besucht. Eine davon ist die Körnerstraße. Diagonalsperren sorgen dafür, dass die Straße nicht vom Durchfahrtsverkehr geplagt ist. Das Ergebnis ist eine florierende Nachbarschaft im wahrsten Sinne des Wortes: Zahlreiche von Nachbar:innen aufgestellte Blumenbeete verzieren hier die Straße, selbstgebaute Sitzgelegenheiten laden zum Verweilen ein. Das jährlich stattfindenden
Körnerstraßenfest macht deutlich, dass die Anwohner:innen super vernetzt sind und sich hier auf der Straße genauso zu Hause fühlen, wie in ihren eigenen vier Wänden. Und genau das ist es doch, was eine gelungene Nachbarschaft ausmacht.
Die Körnerstraße: Das blühende Leben in Ehrenfeld. Auch der Brüsseler Platz ist ein Beispiel für gelungene Aufenthaltsqualität. Die
Stadt Köln beschreibt ihn als „lauschigen Platz zum Verweilen“ und als „Oase mit mediterranem Flair“
. Die weitläufige Fläche um den Brüsseler Platz bietet Raum für Gastronomie, zahlreiche Sitzgelegenheiten, urbanes Gärtnern, einen Kinderspielplatz, dazu stattlich gewachsene Linden, Platanen und Buchen. Wenn auch oft in der Kritik wegen Müll, Scherben und Lärmpegel, so bleibt er ein angenehmer Ort zum Verweilen für alle Generationen.
Ein beliebter Treffpunkt für Jung und Alt: der Brüsseler Platz. Seit Ende letzten Jahres ist die Straße hinter der Eigelsteintorburg autofrei. Hier ist eine Flaniermeile entstanden, wo vorher der motorisierte Verkehr den Platz einnahm. Die Gastronomie stellt ihre Tische raus und die Menschen schlendern über die Straße, Blumenkästen mit Sitzgelegenheiten ergänzen das Bild und schaffen zusätzliche Aufenthaltsqualität. Besonders ältere Menschen nehmen die Verschnaufpause auf ihrer Einkaufstour dankend an.
Flanniermeile: Seit Ende 2021 ist die Straße auf dem Eigelstein autofrei. Die Beispiele zeigen, dass die Kölner:innen das Angebot dankend annehmen und viel Eigeninitiative zur Schaffung von schönen öffentlichen Orten zeigen. Negative Nebeneffekte wie am Brüsseler Platz ergeben sich möglicherweise aus einem Mangel an Plätzen mit Aufenthaltsqualität in der Umgebung, was zu einer verdichteten Nutzung führt. Durch die Schaffung von mehr einladenden Orten mit urbanem Grün und Sitzgelegenheiten würden kritische Situationen womöglich nicht multipliziert, sondern entzerrt werden. Ebenso zeigen Beispiele wie die Körnerstraße, dass auch die Nachbarschaft selbst ihren Raum gestalten kann, sofern die Umstände es zulassen, dass ein Zugehörigkeitsgefühl entwickelt werden kann und eine Aufwertung des öffentlichen Raumes gleichermaßen kollektiv getragen wird. Ein paar schnöde Poller entfalten hier ihr volles Potenzial.
Was die Politik dazu sagt
Was sagt die Stadt Köln zur Vision der Superblocks? Dem aktuellen
Bündnisvertrag sind folgende Zielsetzungen zu entnehmen:
- Attraktivierung zentraler Plätze und Aufwertung der Aufenthaltsqualität in der Innenstadt und in den Veedeln
- Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung des Charakters der Kölner Veedel
- Die Aufenthaltsqualität des öffentlichen Raumes soll durch Stadtplanung, Stadtmöblierung, Begrünung, öffentliche Veranstaltungen und öffentliche kostenfreie Toiletten in ausreichender Menge sowie Nutzungs- und Zwischennutzungskonzepte erhöht werden.
- Durch ein verbessertes Parkraummanagement […] möchten wir auf allen Wegen Barrierefreiheit und den nötigen Platz schaffen, um den Bedürfnissen von Seniorinnen und Senioren, Familien mit Kindern und Menschen mit Mobilitätseinschränkungen gerecht zu werden. Hierbei soll ein Interessensausgleich mit der Außengastronomie angestrebt werden und das Konzept „Sitzen statt Parken“ angewendet und ausgebaut werden.
- Wir werden den Verkehrsraum […] zugunsten des Fuß- und Radverkehrs neu aufteilen.
- Parkplätze haben einen negativen Effekt auf den Wasserhaushalt und das Mikroklima. Daher sollten sie so weit wie möglich wasserdurchlässig angelegt oder umgestaltet werden.
- Untersuchung aller Straßen auf ihren künftigen Nutzen hin mit dem Ziel, die Aufenthaltsqualität zu steigern und den Straßenraum für den Vorrang anderer Mobilitätsarten, wie ÖPNV, Fahrrad- oder Fußverkehr, anzupassen
- Für den motorisierten Individualverkehr wird ein neues Grundnetz von Straßen für Liefer-, Wirtschafts-, Ansässigen-, Ziel- und Quellverkehre formuliert. Mit verkehrslenkenden Maßnahmen soll die Möglichkeit für Durchgangsverkehr in der Innenstadt reduziert
werden. - Im Rahmen eines Verkehrsversuchs wollen wir prüfen, ob in Köln verkehrsarme Zonen nach dem Vorbild Barcelona und Gent realisierbar sind.
Das klingt doch ganz danach, als hätte die Stadt Köln bereits erkannt, wie erfolgversprechend das Konzept auch für Köln ist!
Abschließend ist noch ein
Beschluss der Bezirksvertretung Innenstadt zu nennen: Hier standen „Superblöcke für Köln – für Aufenthaltsqualität und die Verkehrswende im Veedel“
nach Antrag der Grünen, Linken, Klimafreunden und Die Partei auf der Tagesordnung. Auf Antrag der SPD wurde es zunächst zurückgestellt – dennoch ist es ein gutes Zeichen, dass das Thema bereits explizit auf der politischen Agenda angeführt ist.
Ansätze von Superblock-Ideen für Köln
Was gibt es bereits für konkrete Pläne und Ziele für die gesamte Stadt Köln? Denn einer ist keiner – wie wir aus Barcelona wissen, muss das Konzept für die gesamte Stadt gedacht werden, um sein volles Potenzial zu entfalten und nicht nur einzelne Gebiete aufzuwerten.
Zum einen besteht das
Verkehrsführungskonzept Altstadt. Hier wird seitens der Stadt eine autofreie Altstadt angestrebt, die die historischen und kulturellen Schätze besser zu Fuß erlebbar machen soll.
Darüber hinaus ist das
Radverkehrskonzept Innenstadt zu nennen. Dieses hat zwar noch nicht in erster Linie etwas mit Superblocks zu tun, doch es ist eine konkrete Zielsetzung für die Verbesserung der Fahrradinfrastruktur und der Förderung von nachhaltiger Mobilität. Hier beweist die Stadt Köln bereits, dass sie in der Lage ist, Verkehrsflächen umzuwidmen. Manche Strecken sind schon umgesetzt, andere in Planung. Eins ist jedoch deutlich: Es passiert etwas.
Das Radverkehrskonzept Innenstadt hat noch einen weiteren Vorteil, der uns auf die Spur der Superblocks führt: Es definiert ein Netz an MIV-Vorrangstraßen sowie Rad-(Fuß-)Vorrang-Straßen. Das MIV-Vorrangstraßennetz bietet die perfekte Grundlage für eine stadtweite Veedelsblock-Planung, findet Martin Herrndorf, der auch seit Jahren bei der Agora Köln aktiv ist. In seinem Artikel „
Superblocks op Kölsch“
entwirft er ein erstes stadtweites Szenario, das auf dem Radverkehrskonzept basiert.
Ein erstes Veedelsblock-Konzept für ganz Köln? Das MIV-Vorrangnetz des Radverkehrskonzeptes als Basis. Köln kann Veedelsblocks
Die Zeichen stehen gut für die zukünftigen Veedelsblocks. Zwar stehen sie nicht explizit auf der politischen Agenda, doch vereinen sie zahlreiche Zielsetzungen und schlagen so mehrere Fliegen mit einer Klappe. Die Erfahrung aus Berlin zeigt jedoch, dass die Umsetzung seitens der Politik auf sich warten lässt und eine stadtweite Umsetzung nur mit dem entsprechenden Push von unten erfolgen kann. Auch der Blick nach Barcelona zeigt: Insbesondere die Dringlichkeit des Grünflächenmangels treibt die Stadt an, die Superblocks so rasch wie möglich umzusetzen, um den kommenden Hitzewellen zu trotzen.
Sowohl Berlin als auch Barcelona haben mit der richtigen Mischung aus Top-Down und Bottom-Up die besten Erfahrungen zur Planung, Umsetzung und Akzeptanz der Superblocks gemacht. Insofern kann Köln mit seinen engagierten Bürger:innen womöglich den entscheidenden Ruck zur Umsetzung liefern. Veedelsinitiativen geben darüber hinaus Aufschluss über den Bedarf an lebenswerten Veedeln abseits des Reißbrettes.
Der Artikel entstand als Teil des Projektes “Das Gute Leben in den Veedeln” der Agora Köln – mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Umwelt und Entwicklung sowie des Umweltamts der Stadt Köln.