Ein Krimi im klassischen Sinne ist das nicht. Um Mitfiebern und -raten
geht es nicht, das macht der Film schon anfangs in einer Texteinblendung
klar: Jedes Jahr ermittele die französische Polizei in mehr als 800
Mordfällen, heißt es da. „Fast 20 Prozent davon bleiben ungelöst –
dieser Film erzählt von einem dieser Fälle.“ Doch […]
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„In der Nacht des 12.“ von Dominik MollDie Ermittlungen bringen sie an ihre Grenzen: Yohan (Bastien Bouillon, links) und Marceau (Bouli Lanners).
Foto: Asco EliteEin Krimi im klassischen Sinne ist das nicht. Um Mitfiebern und -raten geht es nicht, das macht der Film schon anfangs in einer Texteinblendung klar: Jedes Jahr ermittele die französische Polizei in mehr als 800 Mordfällen, heißt es da. „Fast 20 Prozent davon bleiben ungelöst – dieser Film erzählt von einem dieser Fälle.“ Doch der Fall ist eben nur eine Seite. Es geht auch um die Ermittler, um die Gewalt, die sie im Beruf erleben, und wie sie damit umzugehen versuchen.
Eine junge Frau in einem Örtchen im Schatten der Alpen geht nachts von einer Party nach Hause, schickt noch eine Handybotschaft an ihre beste Freundin, bis ihr ein Vermummter entgegentritt. Er spricht sie an, übergießt sie mit Benzin, zündet sie an – die junge Frau rennt noch ein paar Meter, bricht zusammen, verbrennt. Eine Szene wie ein Schock, aber anders inszeniert als in anderen Krimis: Die entrückte, melancholische, chorale Musik zu den (wenigen) Bildern der brennenden Frau legt sich wie ein Schleier über diese Momente – bevor der Film nach einem harten Schnitt das Gesicht des Polizisten Yohan (Sebastien Bouillon) in Nahaufnahme zeigt: Er hat in einem Büro in Grenoble die Nachfolge des Abteilungsleiters angetreten; der Tod der jungen Frau wird zu seinem ersten Fall in Leitungsposition.
Der deutsch-französische Regisseur/Autor Dominik Moll („Die Verschwundene“) und sein regelmäßiger Autorenpartner Gilles Marchand haben sich in ihrem Skript an dem Buch „Ein Jahr bei der Kripo“ von Pauline Guéna orientiert – sie hatte 12 Monate lang polizeiliche Ermittlungen in Versailles beobachtet; Moll und Marchand nutzen die enorme Detailfülle des Buchs und die These, dass jeder Ermittler, jede Ermittlerin irgendwann einem Fall begegne, der sie besonders schmerzt und möglicherweise nicht mehr loslässt.
Regisseur und Ko-Autor Dominik Moll.
Foto: Ascot EliteYohan und sein Team beginnen ihre Ermittlungen, die der Film in all ihrer Büro-Banalität zeigt, ob bei Diskussionen um Überstunden oder Smalltalk in der Kaffeepause, und in all ihrer Grausamkeit: Die Szene, in der Yohan und ein Kollege den Eltern von Clara die Todesmitteilung überbringen müssen, ist erschütternd und wirkt noch dadurch schmerzhafter, dass Regisseur Moll sie ganz schnörkelfrei inszeniert – ohne Musik, ohne Nahaufnahmen, in aller Ruhe und aller Tragik. Yohan hat da seinen ersten „Aussetzer“, wie er sagt; er fühlt sich, „als wäre ich tot“.
Die Ermittlungen fördern viel menschliche Trostlosigkeit zutage. Die Männer, mit denen Clara sexuelle Beziehungen hatte, reagieren gleichmütig bis bizarr auf die Nachricht vom Mord. Einer zuckt hilflos die Achseln, ein anderer muss beim Verhör unvermittelt lachen, denn er „hat gerade an etwas anderes gedacht“. Ein Ex-Freund hat, nachdem Clara kein Interesse mehr an ihm hatte, einen Rap-Song veröffentlicht, in dem er „der Schlampe“ droht, „sie abzufackeln“. So wörtlich will er das gar nicht gemeint haben, „ich bin ja gegen Gewalt“, das „sind doch nur Worte“. Ein weiterer Ex-Liebhaber ist ein verurteilter Frauenschläger, dessen aktuelle Freundin es toleriert, dass ihr Freund nebenbei Clara „hart gefickt hat“, wie er sagt, und die Freundin gerne „Schlampe“ nennt.
Alibis haben alle Männer, und Yohan leidet zunehmend – ebenso am Stocken der Ermittlungen wie an der Gefühllosigkeit der Befragten und Verdächtigen. Zugleich muss er sich von einer Freundin Claras in einer der stärksten Dialogszenen vorwerfen lassen, dass bei den Fragen des durchweg männlichen Ermittlerteams die Idee mitschwinge, dass Clara durch ihr Sexualleben mit mehreren (und menschlich unangenehmen) Männern eine gewisse Mitschuld an ihrem Tod trage. Auch später gibt es einen prägnanten Dialog mit einer Polizei-Kollegin über Gewalt und eine Welt, in der meistens Männer morden und meistens Männer diese Morde aufklären.
Dies alles erzählt Regisseur Moll in aller Ruhe: ohne dramaturgisch aufgedonnerte Hektik, in langsamem Rhythmus, mit einer klaren Bildsprache, mit schnörkelfreien Dialogen. Hier zählt jedes Wort, sogar beim Kaffeeküchen-Gespräch im Büro. Das mag äußerlich schlicht wirken – eine Kritik wirft dem Film ungerechterweise eine Fernseh-Machart vor – aber im Inneren der Figuren brodelt es.
Yohan und sein älterer Kollege Marceau (Bouli Lanners) gehen unterschiedlich mit ihren Gefühlen um – der Jüngere dreht immer verbissener seine Runden auf einer nächtlichen Radrennbahn (symbolisch im Kreis), Marceau hat seine Nerven nicht mehr im Griff, lässt seine Frustration an dem Schläger aus – und muss die Abteilung verlassen. Nach einem überraschenden Zeitsprung von drei Jahren gehen die Ermittlungen wieder weiter. Jetzt mit einer Lösung?
Dieser exzellent gespielte Krimi lädt zu einem Vergleich mit dem Kinofilm „Die Purpurnen Flüsse“ ein, sie gäben ein interessantes Doppelprogramm ab – ebenfalls ein französischer Film mit einem älteren und einem jüngeren Mord-Ermittler, vor der Kulisse der französischen Alpen. Doch während bei den „Purpurnen Flüssen“ die Alpenkulisse mit Drohnenflügen zelebriert wird und das Polizistenduo mit großer Geste ermittelt, sind bei „In der Nacht des 12.“ die Berggipfel in der fast dokumentarischen Bildgestaltung ziemlich weit weg, und die Ermittler wirken immer müder und zugleich rastloser. Das Leben kann brutal sein, legt der Film nahe, und jeder beziehungsweise jede muss den Weg finden, damit zurecht zu kommen.
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