SOHRAB SHAHID SALESS ZUM 80. GEBURTSTAGDie langen Ferien des Sohrab Shahid Saless. Gastbeitrag Behrang Samsami
Unser Heft 50 ist gerade frisch aus der Druckerei eingetroffen. Darin auch das Interview mit Sohrab Shahid Saless von 1977 „Stilles Leben in der Fremde“, wiederabgedruckt im dreibändigen Werk „Die langen Ferien des Sohrab Shahid Saless. Annäherungen an ein Leben und Werk“ von Behrang Samsami. Am 28. Juni 2024 wäre Saless achtzig geworden. Ein Gastbeitrag zum Anlass.27. Mai 2024
Mohammed Zamani, zehn Jahre alt, aus einer iranischen Hafenstadt am Kaspischen Meer: Hat der Junge die Stunden in der Schule abgegessen, hilft er seiner kranken, hustenden Mutter im Haushalt und bringt die Fische, die sein Vater illegal gefangen hat, zum Lebensmittelladen.
Ist der Junge stets in Eile, ein Kind ohne Kindheit, führt sein Namensvetter Mohammed Sardari ein ruhiges Leben. Der ältere, abgezehrte Mann leistet seit Jahrzehnten ebenfalls im Norden des Iran seinen Dienst als Schrankenwärter, bis er eines Tages in Rente geschickt wird. Die Routine ist plötzlich nicht mehr da; der karge Verdienst fällt weg. Was soll er tun?
Yek ettefaghe zadeh (
Ein einfaches Ereignis; 1973) und
Tabiate bijan (
Stillleben; 1974) – so heißen die beiden Spielfilme, mit denen sich Sohrab Shahid Saless (1944-1998) bereits in der Schah-Zeit in die Filmgeschichte seines Geburtslandes einschreibt – ein Impulsgeber der „Neuen Iranischen Welle“. Angelehnt an sein großes Vorbild, den russischen Schriftsteller Anton Tschechow, nähert sich Saless in langen, ruhigen Einstellungen seinen Protagonisten mit Geduld und Respekt an: Menschen, die aus den unteren sozialen Schichten stammen, die Armut und Stille erdulden, die keine Sprache finden und wie in sich eingekapselt wirken.
Doch nicht nur im Iran ist die Resonanz damals groß: Bei der Berlinale 1974 erhält Saless für beide Spielfilme insgesamt sechs Preise, darunter den Silbernen Bären für
Tabiate bijan. Es sind dann Behinderungen von Dreharbeiten für einen dritten Spielfilm durch staatliche Stellen, denen Saless’ sozialkritischer Blick missfällt, aber auch private Gründe, die den Regisseur veranlassen, ins Exil zu gehen. Die Wahl fällt auf West-Berlin, wo Saless Ende 1974 eine bereits vereinbarte deutsch-iranische Co-Produktion realisiert:
In der Fremde, in dem es um türkische „Gastarbeiter“ geht, reflektiert auch Saless’ künftige, eigene Situation.
Bis 1991 dreht er 13 Spiel- und Dokumentarfilme in der Bundesrepublik meist in Kooperation mit den öffentlich-rechtlichen Sendern. Seinem dokumentarähnlichen Stil und seinen Themen bleibt er treu und entwickelt sie – auch unter dem Einfluss des Schriftstellers Albert Camus – weiter. Es geht um Isolation und Sprachlosigkeit, Armut und (Geistes-)Krankheit, Gewalt und (Fremden-)Feindlichkeit. Filme wie
Reifezeit (1976) und
Ordnung (1980),
Utopia (1983) und
Rosen für Afrika (1991) laufen im hiesigen Fernsehen, aber auch auf internationalen Festivals. 1977 und 1979 geht Saless auf Einladung des Goethe-Instituts als Teil des „Neuen Deutschen Films“ in die USA. 1981 wird er Mitglied des Verlags der Autoren. Drei Jahre später nimmt er die Wahl in die Sektion Film- und Medienkunst der West-Berliner Akademie der Künste an.
Saless ist sein Leben lang ein Weltengänger, einer, der sprachliche, kulturelle und politische Barrieren überwindet. Durch Aufenthalte in den 1960er-Jahren in Wien und Paris lernt er Deutsch und Französisch und belegt dort Kurse für Regie und Film. Er rezipiert die Werke des italienischen Neorealismus, französischsprachiger Autorenfilmer wie Robert Bresson und François Truffaut, Jean-Pierre Melville und Chantal Akermann, aber auch solcher hinter dem „Eisernen Vorhang“ wie Miloš Forman, Jirí Menzel und Károly Makk. Sich ausprobieren und als Regisseur ausbilden – das gelingt Saless ab 1969 im Iran, als er 20 Dokumentarfilme für das Kulturministerium realisiert. Er lernt schnell, effizient und kostengünstig zu arbeiten.
Doch so transnational sein Leben, so „glatt“ seine Karriere auch scheinen: Saless hat ständig mit Widerstand zu kämpfen – nicht nur im Iran. Das westdeutsche Exil bedeutet für ihn in der Regel: Einschränkung. So erhält er anfangs lediglich befristete Aufenthaltsgenehmigungen für die Bundesrepublik. Auch darf er hier zwar Drehbücher schreiben und Regie führen, seine Filme aber nicht selbst produzieren. Eine weitere Behinderung folgt nach der Revolution 1979 im Iran, als Staatsangehörige der Islamischen Republik aufgrund der aggressiven Politik Teherans mehr und mehr Probleme haben, Visa für bestimmte Länder zu erhalten.
Hinzu kommt: Saless ist ein eigenwilliger Charakter, der kompromisslos für seine Projekte streitet, der keine Zugeständnisse macht. In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre findet er, ein Kommunist, in der Tschechoslowakei ein „Exil im Exil“. Doch wird seine einzige Filmarbeit – ein Dokumentarfilm über das Leben von Kindern im damals sowjetisch dominierten Kabul – im Fernsehen der ČSSR nicht ausgestrahlt. Saless lehnt die gekürzte, zensierte Fassung ab.
Saless’ Leben und Werk, dieses großen Unbekannten des „Neuen Deutschen Films“, sind in der Bundesrepublik bisher kaum erforscht und dargestellt worden. Die Trilogie
Die langen Ferien des Sohrab Shahid Saless hat es sich zum Ziel gesetzt, diese Lücke mit zu schließen. Mit ihr liegt die erste umfassende Darstellung und Untersuchung in deutscher Sprache vor. Die Annäherung erfolgt durch eine umfangreiche Biografie (Band 1), mittels Analysen von Saless’ seit 1973 entstandenen Spiel- und Dokumentarfilmen (Band 2), anhand von Interviews mit iranischen und deutschen Weggefährten sowie mithilfe ausgewählter Selbstzeugnisse, etwa von Briefen, Filmentwürfen und journalistischen Artikeln des Regisseurs (Band 3).
Buchinformationen
Behrang Samsami
Die langen Ferien des Sohrab Shahid Saless
Annäherungen an ein Leben und Werk
Exil Verlag, Frankfurt am Main 2023
3 Bände, 1500 Seiten
Softcover; mit zahlreichen Abbildungen
ISBN 978-3-9801652-3-5
EUR 99,00
(gepostet von MS)
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