LaDOC Revisited: Stimmen, die bleiben müssenDer Dokumentarfilm „Bread & Roses“ macht im Filmhaus Köln schmerzhaft sichtbar, wie schnell weibliche Öffentlichkeit in Afghanistan nach 2021 ausgelöscht wurde – und wie mutig Frauen dennoch Widerstand leisten. Der LaDOC-Abend wurde so zum eindringlichen Lagebericht zwischen filmischer Zeugenschaft und konkreter Hilfe der Kabul Luftbrücke.
Von Werner Busch.
Als am 2. Dezember im Filmhaus Köln die Lichter für die Kinovorstellung ausgehen, war schnell klar: Das ist kein Abend, an dem man sich zurücklehnen kann. „
Bread & Roses“ von Sahra Mani – gezeigt im Rahmen der Reihe „
LaDOC Revisited“ – ist ein Film, der den Raum verändert. Nicht, weil er auf Effekt setzt, sondern weil er etwas sichtbar macht, das zugleich längst bekannt und doch kaum auszuhalten ist: die systematische Auslöschung weiblicher Öffentlichkeit in Afghanistan nach der Machtübernahme der Taliban 2021.
Der Dokumentarfilm der afghanischen Regisseurin Sahra Mani folgt einer Gruppe von Frauen – darunter Zahra, Sharifa und Taranom – in den Monaten nach dem politischen Umbruch. Was dabei entsteht, ist weniger ein klassisches Porträt als ein Protokoll des Alltags unter Druck: Proteste, die in Sekunden zerstreut werden; Wege, die plötzlich nicht mehr gegangen werden dürfen; Stimmen, die leiser werden müssen, um überhaupt hörbar zu bleiben. Der Film ist überwiegend aus Handyaufnahmen montiert, die die Protagonistinnen selbst gedreht und aus dem Zustand eines kollektiven Hausarrests heraus weitergegeben haben – Material, das nicht nur dokumentiert, sondern Zeugnis ablegt.

Filmemacherin Sahra Mani war mit ihrem Film „Bread and Roses“ erneut zu Gast bei LaDOC. Foto: Angelika Huber
Alltag unter Druck, Protest im Verborgenen
Dass das Kino nahezu ausverkauft war, gab dem Abend eine eigene Spannung. Man spürte eine Konzentration, wie sie selten entsteht, wenn ein Publikum nicht nur konsumiert, sondern sich einer Wirklichkeit stellt, die nicht weit weg ist, sondern politisch und moralisch in den eigenen Alltag hineinragt. Der Film zeigt, wie schnell Rechte nicht nur beschnitten, sondern gelöscht werden können – und wie sich Widerstand anfühlt, wenn er keine Bühne mehr hat.
Manis Blick ist entschieden auf der Seite der Frauen, ohne sie zu romantisieren. Die Bilder wirken oft improvisiert, manchmal atemlos, manchmal überraschend ruhig: ein Fenster, ein Zimmer, eine Stimme, ein kurzer Blick auf die Straße. Gerade diese scheinbar unspektakulären Momente machen die Brutalität des Regimes deutlich, weil sie den Verlust des Selbstverständlichen erfahrbar machen. Nicht die spektakuläre Verhaftung steht im Vordergrund, sondern das Zermürbende: das Warten, die Unsicherheit, die ständige Neubewertung jedes Schritts. Wer diesen Film sieht, versteht, dass Unterdrückung nicht erst dort beginnt, wo Gewalt sichtbar wird, sondern dort, wo Möglichkeiten verschwinden.
Der Film hat internationale Aufmerksamkeit erhalten und ist auch deshalb bemerkenswert, weil seine Form aus der Not geboren ist: Dreharbeiten mit Team vor Ort wären zu gefährlich gewesen. Stattdessen wird das Smartphone zur Kamera, das Teilen der Clips zur riskanten Handlun. „Bread & Roses“ macht aus dieser Bedingung keine Ästhetik des Mangels, sondern eine Sprache der Dringlichkeit.

Theresa Breuer von „Kabul Luftbrücke“ sprach über ihre Arbeit und die aktuelle Situation im Land, Foto: Angelika Huber
Kabul Luftbrücke: Hilfe, die konkret wird
Im anschließenden Gespräch wurde aus dem Filmabend eine Art Lagebericht – und zugleich eine Auseinandersetzung mit der Frage, was Bilder in einer Situation bewirken können, in der sich die Realität schneller verdunkelt, als internationale Aufmerksamkeit entsteht. Moderiert von den LaDOC-Mitgliedern Mirjam Leuze und Caroline Nokel, trafen hier zwei Perspektiven aufeinander, die sich ergänzten: die filmische Arbeit Manis und die konkrete Rettungs- und Unterstützungsarbeit von Theresa Breuer, Mitbegründerin der Kabul Luftbrücke.
Breuer, die als Journalistin und Filmemacherin lange in der Region gearbeitet hat, schilderte, was nach August 2021 für viele Aktivistinnen und Aktivisten bedeutete: Fluchtwege, die sich abrupt schließen; Bürokratie, die Leben kosten kann; Netzwerke, die binnen Stunden entstehen müssen, wenn Staaten längst abgezogen sind. Ihre Initiative hat tausenden Menschen die Ausreise möglich gemacht. Im Gespräch klang das nicht triumphal, sondern wie die nüchterne Messung einer Notlage – und wie der Hinweis, dass jede Zahl auch all jene unsichtbar macht, die keine Route fanden.
Sahra Mani wiederum machte deutlich, dass dieser Film nicht aus Distanz entstanden ist, sondern aus Nähe, Verantwortung und dem Versuch, die Erzählung nicht abreißen zu lassen, wenn Lebensläufe aus dem öffentlichen Blick gedrängt werden. LaDOC hatte sie nicht zum ersten Mal zu Gast; der Abend wirkte deshalb nicht wie ein einmaliges Event, sondern wie Teil einer länger gewachsenen Verbindung zwischen filmischer Öffentlichkeit und praktischer Solidarität. Und so fand sich im Film auch das Support-Meme #StandWithWomenInAfghanistan wieder, das Anfang 2022 durch LaDOCs Austausch mit Sahra Mani entstanden war.
Die offenen Enden: Flucht, Haft, Verschwinden
Was im Kino besonders nachhallte, war der Kontrast zwischen dem dokumentierten Mut der Frauen im Film und der Ernüchterung über das, was aus vielen Biografien inzwischen geworden ist. Viele müssen sich bis heute – unter erbärmlichen Bedingungen – verstecken, sind aus ihrer Heimat geflohen oder wurden inhaftiert. Andere sind schlichtweg verschwunden, und wie der Film mit der Aufnahme einer Überwachungskamera zeigt, auf offener Straße von unbekannten entführt worden. Die Schicksal all dieser mutigen Frauen sind ungewiss. Der Film endet nicht mit einer Lösung – er kann es nicht. Aber er lässt das Publikum auch nicht mit der bequemsten aller Ausreden zurück: dem Gefühl, man habe es „nicht gewusst“.
Sarah Mani und Theresa Breuer unterstrichen im Filmgespräch eindrucksvoll, wie sehr sich das Regime der Taliban-Terrororganisation durch Handeln und Nichthandeln anderer Staaten nun verfestigt hat. Es muss keine Rechenschaft über die Verwendung der „humanitären Hilfe“ abgeben, dass es erhält, und dessen monetäre Seite sicher viel zur weiteren Etablierung beigetragen hat. Die Bundesregierung in Deutschland hat in den vergangenen Monaten den Taliban den Weg in die afghanischen Auslandvertretungen geöffnet. Das gibt dem Regime Zugang zu sensiblen Daten und bringt zahllose Afghan*innen in Gefahr, die nun bei Passangelegenheiten auf es angewiesen sind.
Dass „Bread & Roses“ mit seiner prominenten Produzentin Jennifer Lawrence und mit Apple TV auch eine große Distributionsplattform hat, verschiebt den Blick auf die Frage, was Aufmerksamkeit eigentlich bedeutet. Je größer die Bühne, desto drängender wird die Frage, ob sie Konsequenzen hat – oder nur ein kurzes Aufleuchten bleibt. Der Film selbst ist darin unerbittlich: Er zeigt nicht nur Mut, sondern auch die Kosten dieses Muts.
LaDOC hatte diesen Abend als Vorführung mit anschließendem Gespräch angesetzt, Tickets auf Spendenbasis, am Ende: ausverkauft. Das wirkt wie eine Randnotiz, ist aber vielleicht eine der wichtigsten. Ein volles Kino ist keine politische Lösung. Aber es ist ein Ort, an dem die Erzählung nicht abbricht. An dem Gesichter, Namen und Stimmen nicht zu Fußnoten werden. Und an dem die Zumutung, hinzusehen, kollektiv ausgehalten werden kann – wenigstens für die Dauer eines Films.





Ladoc-Lecture mit Sahra Mani und „Bread and Roses“ am 2.12.2025 im Filmhaus Köln – Moderation: Caroline Nokel und Mirjam Leuze + Gast Theresa Breuer von „Kabul Luftbrücke“
Fotos: Angelika Huber / LaDOCDer Beitrag
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