Perspektive Waidmarkt: Ein Panorama entstehtDie „Perspektive Waidmarkt“ – und damit der Gedenkort an der Einsturzstelle des Stadtarchivs – nimmt erste Formen an. Bei einer Veranstaltung am 06. November im „Friedrich-Wilhelm-Gymnasium“ (FWG) am Waidmarkt wurde die erste „künstlerische Intervention“ auf dem Weg zum neuen Waidmarkt vorgestellt.
Meine Südstadt war dabei und hat sich anschließend mit Andre Dekker von der beauftragten Künstlergruppe
„Observatorium“ aus Rotterdam zum Kaffee getroffen – natürlich vor Ort an der Baustelle Waidmarkt, Kölns größter öffentlicher Wunde.
Steht man vor dem Ladenlokal im Ferkulum, wähnt man sich getäuscht: das reduzierte, klar gestylte Innere des Ladens, das man durch das große…Kunst hilft erinnern
Gute Stimmung in der Aula des FWGs. Zahlreiche Nachbar*innen, Vertreter*innen der Initiativen und der Kölner Stadtgesellschaft waren gekommen, um die Präsentation des ersten Kunstprojekts zur Begleitung der Arbeiten an der Einsturzstelle zu verfolgen. Großes Interesse auch deshalb, weil nach Jahren des Planens und Diskutierens nun endlich konkrete Zeichen der Gestaltung eines Gedenkortes sichtbar werden.
Dabei ist der Wunsch nach einer besonderen Würdigung dieser „öffentlichen Wunde“ so alt, wie der Einsturz selbst: Die Initiativen „Köln kann auch anders“ und
„Archivkomplex“ begleiten den Prozess und die Diskussionen um die Gestaltung der Einsturzstelle seit 2011 immer wieder mit Kunstaktionen.
„Ohne die Vergangenheit und das Geschehene zu vergessen“
„Es ist mir ein Herzensanliegen, zu gedenken und zu erinnern“, eröffnete Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker den Abend und verwies auf das Engagement der benachbarten Schulen FWG und KAS (Kaiserin-Augusta-Schule) im jetzt gestarteten Projekt : „Wir wollen heute einen Neuanfang wagen und den Blick in die Zukunft richten. Wir tun dies ganz bewusst in einer Schule als Ort der kommenden Generationen.“
Andre Dekker und Henriette Reker (Foto: Markus Küll) Tatsächlich ist der erste Ort, an dem die Künstlergruppe ihren mobilen Zeichensaal aufschlägt, der Kunstraum des FWGs. Hier wird Andre Dekker, einer der Gründer von „Observatorium“, in den nächsten Wochen sitzen, auf die Baustelle am Waidmarkt schauen und zeichnen.
Oberbürgermeisterin Reker versprach einen „kulturellen Ort, der auch Raum zum Erinnern gibt“ und wiederholte die Einladung an Nachbar*innen und die Stadtgesellschaft, sich zu beteiligen: „Mir war von Anfang an wichtig, diesen Prozess im Dialog zu bearbeiten.“
Eine reisende Klause rund um den Waidmarkt
Dies soll mit dem Konzept der „reisenden Klause“ umgesetzt werden: Andre Dekker wird mit seinem mobilen Zeichenstudio an verschiedenen Orten rund um den Waidmarkt zu Gast sein. Das kann der Balkon einer Anwohnerin sein oder das Schaufenster eines nahe gelegenen Cafés. Wichtig ist, dass der Blick auf den Waidmarkt und die Einsturzstelle aus verschiedenen Perspektiven möglich ist. Im Frühjahr 2025 wandert die Zeichen-Klause dann „ins Freie“ auf den Waidmarkt und lädt die Kölner*innen ein, an diesem öffentlichen Ort selbst zu Gestalter*innen des Kunstprojekts zu werden. Auf diesem Weg entsteht als Dokumentation ein „Logbuch“, das im Sommer 2025 übergeben wird.
Reisende Klause: Projektstart im Friedrich-Wilhelm.Gymnasium (Foto: Markus Küll) „Wir arbeiten immer da, wo große Transformationen ist“ – auf einen Kaffee mit Andre Dekker
Ortswechsel und Perspektivwechsel. Ich treffe Andre Dekker, den Mitbegründer von „Observatorium“, im Café „Einfach lecker“, das Jahre hinter dem Bauzaun der Einsturzstelle verborgen war und nun langsam wieder sichtbar wird. Im März 2023 hatte ich Jannat, die engagierte Besitzerin des kleinen Cafés,
porträtiert. Damals sagte sie: „Ich bin wütend und traurig. Wir kämpfen hier um unsere Existenz.“ Sie hat durchgehalten und ist immer noch hier. Zeit für einen Cappuccino mit Blick auf den Zaun, der jetzt durchsichtig ist.
„Ich war 2010 zum ersten Mal hier an der Einsturzstelle“, erzählt Andre. „Der Einsturz war in Rotterdam (Partnerstadt von Köln, Anm. d. Red.) auf der Titelseite der Tageszeitung und ich wollte das unbedingt sehen. Damals konnte man von einem Gerüst aus in die Einsturzstelle schauen.“ Damals dachte er noch nicht daran, an dieser Stelle einmal selber künstlerisch tätig zu werden. „Wir sind immer da, wo große Transformationen stattfinden“, beschreibt der Künstler die Arbeit des Observatoriums, „das ist ein Grund für unsere Auftraggeber, Kunst zu beauftragen. Für uns ist das gut, denn wir integrieren Kunst gerne in Landschaftsplanung und Städtebau.“
Mit der Zeichenklause im Dialog (Foto: Markus Küll) Die Projekte von „Observatorium“ bereichern öffentliche Räume, Parks und Landschaften mit spektakulären Installationen. Am Waidmarkt geht es eher darum, eine öffentliche Wunde zu behandeln. Hier, so Andre, sei es besonders sinnvoll, mit Kunst andere Perspektiven zu vermitteln: „Was wir bei unseren Projekten oft erleben, ist das Gefühl von Trauer oder Wut, das Gefühl, „es satt zu haben“, dass ein Ort immer noch ein Unort ist.“ Andre versteht seine Arbeit nicht nur als Neu-Widmung eines Ortes sondern vor allem als Beitrag zum „Stadtgedächtnis“ und zum gemeinsamen Erinnern.
„Ich bin nicht da, um ein Loch zu malen“ – künstlerische Arbeit rund um die Einsturzstelle
Jetzt wird also weitergebaut. Die Bauzäune werden – zumindest teilweise – abgebaut und auch die Sichtblenden verschwinden und geben den Blick auf eine gerade Fläche frei. Das Loch scheint verschwunden zu sein. Mit dem ihm eigenen Humor berichtet Andre von einer „traurigen“ Nachricht von der Kunstlehrerin des FWG, die ihm schrieb: „Andre, sie machen das Loch zu! Es wird abgedeckelt – gerade wenn du kommst!“
Dazu Andre Dekker: „Das Künstlerische ist für mich aber, zu sagen: ich bin doch nicht da, um ein Loch zu malen. Ich möchte mithelfen, die Stadt zu reparieren.“ Mithelfen möchte auch die Nachbarin, die uns im Cafe „Einfach lecker“ jetzt anspricht. Sie hat von Andres Aktion gehört und bietet ihren Balkon mit Blick auf die Einsturzstelle an.
Perspektiv-Wechsel: Andre Drekker im Cafe gegenüber der Einsturzstelle (Foto: Markus Küll) „Was erwartet man noch, wenn das Warten immer wieder verlängert wird?“
Bereits seit 1999 ist Andre für Projekte von Observatorium immer wieder in Deutschland. Seine künstlerische Arbeit am Waidmarkt sieht er vor allem darin, als Beobachter und Chronist „die öde, lange Zwischenzeit irgendwie festzuhalten. Es kommen immer Berichte von der Baustelle, aber nicht von dem Leben drumherum. Ich will auch erzählen, was in den Jahren des Stillstands passiert ist. Wie haben diese Menschen durchgehalten? Was erwartet man noch, wenn das Warten immer wieder verlängert wird?“
Auf den Tag vor fast genau 10 Jahren hat die erste Party, veranstaltet von DJ Yogi, in der Alteburg stattgefunden – für Jugendliche über 44…Dazu wird Andre in seiner reisenden Klause in den nächsten Monaten zeichnen, mit Menschen auf der Straße sprechen und viel lesen. Unter anderem Heinrich Böll, der in einem Gespräch mit Wolfgang Niedecken über Köln gesagt hat: „Köln ist für mich ein Museum. Das was noch da ist, was ich sehen will, ist Museum, wie die Kirchen zu Museen geworden sind, weil die Leute kaum noch da wohnen.“ Es bleibt spannend, wie das
„Panorama Waidmarkt“ diesen Ort nicht nur dokumentieren, sondern vielleicht sogar gestalten wird. Wir werden Andre Dekker weiter begleiten.
www.archivkomplex.de/index.php/fuenf-jahre-archivkomplex
www.panorama-waidmarkt.de
www.observatorium.org
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