Erinnern im QuadratAls Eugen und Karola Friedberger ihre Wohnung in der Kölner Südstadt räumen mussten, hatten sie dort vier Jahre lang gemeinsam gelebt. Schon sehr bald nach dem Erlass des NS-„Entmietungsgesetzes“ wurde das Paar 1939 von den Kölner NS-Behörden dazu gezwungen, in ein sogenanntes Ghettohaus in der Spichernstraße ziehen, in dem Jüdinnen und Juden auf engstem Raum leben mussten. Von dort wurden sie drei Jahre später in das Ghetto Litzmannstadt (eigentlich Łódź) und bald darauf ins Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) deportiert und ermordet. In der Südstadt erinnerte nichts mehr an sie.
Die 7 ist das hervorstechende Symbol im Eiscafé Settebello auf der Alteburger Straße. Sette heißt nämlich sieben auf Italienisch und …Patenschaften für Stolpersteine
Am Mittwoch wurden nun für das Paar zwei Stolpersteine verlegt. Mit dem Kunstprojekt hatte der aus Berlin stammende Künstler Gunter Demnig 1996 begonnen. Seither verlegt er an den ehemaligen Wohnorten von NS-Opfern quadratische Messingplatten auf einem Steinquader, die an das Schicksal dieser Menschen erinnern.
Gunter Demnig macht sich bereit (Foto: Nora Koldehoff)„Wir haben die Patenschaften für die beiden Steine übernommen“, erzählt Christine, die in einer angrenzenden Straße wohnt. „Das war gerade in Köln einfacher, als ich mir vorgestellt hatte.“ Christines Mann war schon vor einer Weile aufgefallen, dass in der Straße, in der sie wohnen, kein einziger Stolperstein liegt.
Da das künstlerische Gedenkprojekt weitgehend durch Spenden und Patenschaften finanziert wird, hätte es sein können, dass sich für einen möglichen Stolperstein bislang noch niemand für eine Patenschaft gefunden hat. In einer Mail wandte er sich daher an das NS-Dokumentationszentrum im EL-DE-Haus.
Tatsächlich, so die Antwort, war in der Straße keine Adresse bekannt, an der von den Nazis Verfolgte gelebt hatten und der dementsprechend für einen Gedenkstein infrage käme. Weil aber in eben der angrenzenden Straße das Ehepaar Friedberger gelebt hatte, wurden die beiden gefragt, ob sie denn dann diese Patenschaften übernehmen würden. „Alles, was wir dafür tun mussten, war also, den Kontakt zum EL-DE-Haus aufzunehmen und später den Betrag zu überweisen,“ sagt Christine. Eine Stein-Patenschaft kostet 120 Euro.
Die beiden neuen Stolpersteine (Foto: Nora Koldehoff)Koordination aus dem EL-DE-Haus
Im Dokumentationszentrum übernimmt Ibrahim Basalamah die Organisation der Stolpersteinverlegungen. „Das ist allerdings nur ein Teil meiner Aufgaben“, sagt der Archivar. „Aber eben auch ein Teil, den ich besonders gern mache.“
Archivar Ibrahim Basalamah mit den Stolpersteinen für die Friedbergers (Foto: Nora Koldehoff)Ein inhaltlicher Beitrag bei der Gestaltung der Steinverlegung ist für die Übernahme einer Patenschaft kein Muss, wird aber sehr gern gesehen. Da in den zwei Tagen im März in Köln 64 Stolpersteine verlegt werden, kann von Seiten des Künstlers und des NS-Dokumentationszentrums nicht zu jedem Stein eine eigene Veranstaltung organisiert werden. Christine versuchte daher, selbst über das Paar etwas herauszufinden.
Spurensuche in Netzwerken und Amtslisten
„Die Friedbergers kamen beide aus eher einfachen Verhältnissen“, erzählt sie. „Daher gibt es zum Beispiel wenig Einträge in Zeitungen.“ Die Hochzeitsanzeige der beiden ließ sich aber im „
zeit.punktNRW“ finden, einem Projekt, in dem Lokalzeitungen aus NRW von 1801-1945 digitalisiert werden. Eine kurze Biografie war auch im EL-DE-Haus entstanden.
Im Dokumentationszentrum werden so viele Fakten wie möglich über die Menschen gesammelt und archiviert, die durch das NS-Regime verfolgt und ermordet wurden. Die Journalistin Petra Pluwatsch recherchiert seit drei Jahren ehrenamtlich im El-De-Haus diese Biografien. Einige ausgewählte werden auch in ihrem Buch „Verfolgt und nicht vergessen. Geschichten hinter den Stolpersteinen“ zu lesen sein, das im Juni diesen Jahres erscheinen soll.
Familie Friedberger in den 1930er Jahren in Solingen (v.l.): Karola, Eugen, Minna, Hermann, Clemence und Arthur Friedberger (Foto: Familienbuch Euregio)Für ihre Recherche nutzt die Journalistin verschiedene Datenbanken: Die des Dokumentationszentrums selbst, Archive, Listen und digitalisierte Adressbücher geben oft Aufschluss über Besitzverhältnisse, Umgebung, Lage der Wohnung oder Querverweise. Aber auch öffentlich zugängliche Datenbanken, wie „
Familienbuch Euregio“ oder „Ancestry“ und digitalisierte Zeitungen werden genutzt.
„Und natürlich googele ich auch mal erst“, erzählt sie, „aber das führt eher selten zu Ergebnissen.“ In manche nicht öffentlich zugängliche Datenbanken kommt sie nur vom Dokumentationszentrum aus, daher arbeitet Petra Pluwatsch oft vor Ort. „Meist am Montag“, sagt sie, „denn dann ist dort kein Publikumsverkehr.“
Zu ihrem Ehrenamt fand sie über eine Stolperstein-Patenschaft. „Die Quellenlage ist leider nicht immer gut – und manchmal, bei allzu häufigen Namen nahezu aussichtslos. Aber versuchen muss man es eben doch.“
Von Solingen nach Köln
Über die Geschichte der Friedbergers ließ sich nicht allzu viel herausfinden – ein wenig aber doch.
Eugen war eines von acht Kindern und kam aus Solingen. Er hatte nach dem Tod seiner Eltern bis zu seiner Hochzeit bei seinem älteren Bruder Hermann gelebt. Die beiden waren, wie ihr Vater und ein weiterer Bruder, Versicherungsvertreter.
Hermann Friedberger war außerdem in der Synagogengemeinde zuerst stellvertretender Vorsteher und später Schriftführer. Zu seinen Aufgaben gehörte es, einmal im Quartal Listen der in Solingen lebenden Juden an die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ zu senden. Diese Listen nutzte die Gestapo später für die Deportationen.
Vermählungsanzeige im Solinger Tageblatt vom 6. November 1926 (Foto: zeit.punktNRW)Als Eugen und Karola Friedberger im November 1926 heirateten, war er 43 Jahre alt und sie 31. Bevor das Paar in die Südstadt gezogen war, hatte Eugen Friedberger 1930 in der Weißenburgstraße eine eigene Versicherungsagentur eröffnet.
Karola Friedberger, die „Rola“ genannt wurde, wurde in Bocholt geboren. Nach ihrer Geburt zog die Familie nach Köln, wo ihre Eltern Hulda und Ferdinand Schindler erst ein Putz- und Modegeschäft in der Severinstraße hatten. Später, bis Ende der 1920er Jahre, betrieben sie ein Wäschegeschäft in Lindenthal. Karolas jüngerer Bruder Kurt floh Mitte der 1930er Jahre nach Holland.
Wenige Überlebende
Aus der Familie der Friedbergers aus Solingen überlebten nur wenige den Holocaust. Eugens Nichte Ruth-Franziska war 1938 in die USA ausgewandert, wo sie bis 2011 lebte. Ihr jüngerer Bruder Gerd, Vater Hermann und seine zweite Frau Helene waren auch erst nach Litzmannstadt und dann nach Kulmhof deportiert und dort ermordet worden. In Solingen gibt es bereits Stolpersteine. Der Solinger Historiker und Lehrer Horst Bassin hatte mit Oberstufenschüler*innen einer AG das Staatsarchiv in Łódź besucht und dabei einiges an Informationen über Solinger Schicksale herausfinden können.
Eugens ältester Bruder Arthur Friedberger konnte mit Frau und Kind nach Belgien auswandern. Er starb dort 1943, doch seine in Belgien geborene Frau Clemence und sein Sohn Marcel haben den Krieg beide überlebt.
Erst meißeln, dann verlegen
In diesem März wurde an der Haustür des neuen Wohnhauses, das an der Stelle des alten, im Krieg zerstörten, gebaut wurde, ein Schreiben des NS-Dok angebracht. Es informierte die heutigen Bewohner einige Tage vorher über die Verlegung. Als Gunter Demnig und Ibrahim Basalamah ankommen, ist ein Wagen der Kölner Baugruppe schon vor Ort.
Der Künstler zeichnet die Stelle an, an der die Steine verlegt werden sollen und schneidet die Umrisse mit einer Steinsäge ein. Weil vor Ort nur eine geteerte Fläche zur Verfügung steht, keine Pflastersteine, die ersetzt werden könnten, muss dann von der Baugruppe mit einem Presslufthammer weitergearbeitet werden.
Die Verlegestelle wird vom Künstler selbst eingeschnitten (Foto: Nora Koldehoff)Beim Feinschliff legt dann Demnig wieder selbst Hand an und setzt anschließend die Steine ein. „Wir werden noch in diesem Jahr unseren 100 000. Stein setzen“, erzählt er. Die allermeisten Steine verlegt er nach wie vor selbst. Aber auch, wenn er das irgendwann nicht mehr schafft, soll das Kunstprojekt des Erinnerns weitergehen und in eine Stiftung überführt werden – als größtes dezentrales Erinnerungswerk der Welt, aber auch als Erinnerung an jeden einzelnen Menschen.
Bereits seit mehr als 60 Jahren ist die evangelische Familienbildungsstätte, kurz fbs genannt, am Kartäuserwall in der Südstadt zu finden. E…Mehr Informationen finden sich auf der Website des Stolperstein-Projektes.
Bei Interesse für eine Stolperstein-Patenschaft in Köln kann man sich direkt an Ibrahim Basalamah wenden.
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