„Köln sollte mehr Schönheit verlangen, wagen und realisieren“
Nach 56 Tagen endete jüngst die Kunstaktion „Panorama Waidmarkt“. Der Pavillon, den die niederländische Künstlergruppe „Observatorium“ am Waidmarkt aufgebaut hatte, ist wieder demontiert.
Die Kölner*innen waren eingeladen, Erinnerungen, Geschichten und Wünsche rund um den Einsturz und die Einsturzstelle zu teilen und im Pavillon zu hinterlassen. Die gesammelten Dokumente werden nach einer Bearbeitung dem Archiv der Stadt Köln übergeben.

Andre Dekker (li.) und Kabarettist Jürgen Becker bei einem der vielen Events am Waidmarkt-Pavillon (Bild: Markus Küll)
Meine Südstadt hat mit Andre Dekker von Observatorium über seine Begegnungen und Erfahrungen während seiner Aufenthalte in Köln seit November ´24 gesprochen.
Was hast Du während Deiner Zeit über die Kölnerinnen und Kölner gelernt?In vielen Gesprächen habe ich gelernt, dass man/frau in Köln das Bedürfnis hat, Köln zu erklären: „wir in Köln, ich in Köln, die Kölner sind, etc.“
Auch die Kölner*innen, die sich nicht als Kölneri*nnen betrachten, reden über Köln, die Kölner und ihre „Kölschen Grundgesetze“. Sie sprechen über Katastrophen, die Verwaltung, die kölsche Mentalität und den Unterschied zwischen Ruf und Realität.
Ich habe dann oft gesagt: „Ich kann das Wort Köln nicht mehr hören!“ Dann fingen die Besucher*innen im Pavillon an, über sich zu reden.

Nicht nur während der Fiunissage kamen viele Kölner*innen, um im Pavillon etwas zu erzählen oder zu hinterlassen (Bild: Markus Küll)
Und was hast Du über Köln als Stadt gelernt? Köln als Stadt – Welch eine Vielfalt an Architekturen und Autostraßen, an Bezirken und Brauhäusern, an Geschichte(n) und Spekulation, an Kirchen und Brachflächen.
Immer einen Tick dichter und wilder als bei uns in Rotterdam.
Von meinem Fahrrad aus – Ich habe oft über die phantasievollen Lösungen, Fahrradfahrerinnen das Leben zu erleichtern, gelacht. Bis ich merkte, dass das Fahrrad fast überall in der Mehrheit ist und trotzdem in der Verkehrshierarchie erst an zweiter/dritter Stelle kommt.
Köln als Stadt – komischerweise denkt man/frau in Köln, Rotterdam sei grösser, großstädtischer, rauer und bunter. Nur das Bunte stimmt.
Wie siehst Du – als Künstler, der Ideen und Visionen als Handwerk hat – die Zukunft unserer Stadt? Mein Eindruck ist: Köln hinkt hinterher. Ich frage mich nach meiner Zeit am Waidmarkt: In welcher Hinsicht will Köln Vorreiter werden? Köln hat dieselben Aufgaben wie alle andere Städte: Nachhaltigkeit, Autoverkehrsminderung, Klimawandelanpassung, Wohnungen für Normalverdiener, Kultur für alle, etc. Ich habe gelernt, dass die Bürger sich schlecht regiert fühlen. Skepsis und Misstrauen sind enorm. Um z.B. den Neuen Waidmarkt zum Erfolg zu bringen, braucht man den/die beste Intendant*in/ oder künstlerische Leiterin mit Befugnissen. Dann kann die Verwaltung verwalten und die Dezernenten können kommen und gehen.
Ich finde, übrigens, Köln sollte seine Ratsmitglieder bezahlen. Es ist unfassbar, dass die Metropole von Freiwilligen mit Parteiüberzeugungen regiert wird. Köln braucht einen bezahlten Kunstbeirat, und sollte auf ihn hören. Köln sollte mehr Schönheit verlangen, wagen und realisieren.

Bilder, Texte, Storys – jede Menge Erinnerungen an den Einsturz und den Umgang damit wandern bald ins Historische Archiv (Bild: Markus Küll)
Wenn Du als Künstler auf die Einsturzstelle schaust: was für ein Ort ist der Waldmarkt für Dich?Es ist ein Ort, wo eine befremdliche Stille auf den Einsturz folgte, Diese Stille ist noch immer spürbar. Der Waidmarkt ist städtisch ein Provisorium, im Herzen eine Wunde.
Der Archiveinsturz hat das Lebensgefühl der Kölner*innen in alle Richtungen ausgedehnt: Die Katastrophe hat sie wütender, trotziger, kämpferischer, argwöhnischer, gleichgültiger, gelassener oder utopistischer gemacht.
Es ist ein Ort, wo noch immer gelitten wird. Die hässlichen Wohnungen, die nach dem Einsturz gebaut worden sind, bilden keinen Teil des Viertels. Die Bauherrenarchitektur hat eine Gated Community geschaffen, die ohne Gate auskommt.
‘Warum ist es hier so schön?’ Das will ich irgendwann gefragt werden. Dann kann ich erklären, dass die Katastrophe bei den Verantwortlichen ein Bedürfnis nach Schönheit ausgelöst hat, nach einem fabelhaften Ort.
Welche Begegnungen sind Dir besonders im Kopf oder Herzen geblieben?Die Begegnungen mit allen Beteiligten von Archivkomplex, die seit 14 Jahren für Sachverständnis und Aufmerksamkeit am Waidmarkt sorgen.
Die Begegnung mit der Archivarin, die im Rotterdamer Archiv eine Ausstellung über Kölner Archivschätze zusammenstellte. Die Begegnungen mit den Anwohnerinnen und Anwohnern.
Sagen wir, Du kommst im Juli 2030 nochmals zurück – was würdest Du gerne hier sehen?Ein Dreigestirn aus Städtebau, Landschaftsarchitektur und Kunst ist täglich am Ort um einen Campus für die zwei Gymnasien zu entwickeln, der als Stadtgarten genutzt wird. Sie entwerfen ein Ensemble aus Spiel, Muße, Gartenpflege, Ruhe und Erinnerung. Und die Stadt hat sich vorgenommen, das endgültige Buch über den Archiveinsturz und das institutionelle Versagen schreiben zu lassen.
Observatorium wird „Panorama-Waidmarkt“ dokumentieren und publizieren um zur Entstehung eines Ortes beizutragen, der von Schönheit und Haltung geprägt ist. Ein Vorschlag, basierend auf zwei Monaten Zuhören ist in Arbeit.
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