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Wir erinnern uns, zum Beispiel an den 09. November 2022 – da kamen am
Chlodwigplatz mehr als 100.000 Menschen zusammen, um gegen Rassismus und
alte und neue Nazis zu demonstrieren. Ein guter Ort für politische
Versammlungen also, dachte sich wohl auch das „Bündnis Sahra
Wagenknecht (BSW)“ und schickte seine Namensgeberin im Vorfeld der
Europawahl in […]
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Stammtisch auf dem Chlodwigplatz – ein KommentarWir erinnern uns, zum Beispiel an den 09. November 2022 – da kamen am Chlodwigplatz mehr als 100.000 Menschen zusammen, um gegen Rassismus und alte und neue Nazis zu demonstrieren. Ein guter Ort für politische Versammlungen also, dachte sich wohl auch das „Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)“ und schickte seine Namensgeberin im Vorfeld der Europawahl in die Südstadt. Unser Autor Markus Küll war mittendrin und hat dazu: Eine Meinung.
Die autonome Massenorganisation Lotta Continua (der Kampf geht weiter) der italienischen Linken, war die Namenspatronin der Südstadtknei…Die Sache mit der freien Meinung
Hanno von Raußendorf, Listenplatz 12 zur Europawahl, gibt den Anheizer und setzt direkt die ersten populistischen Duftmarken: „44 % der Deutschen glauben, dass man in Deutschland seine Meinung nicht frei äußern dürfe“ – so sein Eröffnungsstatement, mit dem er den halbvollen Chlodwigplatz von der „Öffnung der Debattenräume“ durch das BSW überzeugen wollte. „Haben Sie das Gefühl, dass man heute in Deutschland seine politische Meinung frei sagen kann, oder ist es besser, vorsichtig zu sein?“ war in der Tat die Fragestellung im Rahmen des „Freiheitsindex 2023“ des Allensbach-Instituts, die seitdem von Populist*innen aller Couleur gern zitiert wird. Zu dieser Umfrage gehört allerdings auch, dass 40% der Interviewten diese Frage bejaht hatten. Doch um differenzierte Betrachtung geht es an diesem Abend in der Südstadt nicht. Schließlich ist Wahlkampf.
Chlodwigplatz halbvoll – Sahra Wagenknechts Bündnis lockte nicht die Massen
Ein Abend der Relativierung
Hanno von Raußendorf setzt dann in seiner Eröffnungsrede ein weiteres Leitmotiv, das von den späteren Redner*innen Thomas Geisel (Ex-SPD-Mitglied und früherer OB Düsseldorf), Fabio de Masi und zuletzt Sahra Wagenknecht gerne aufgegriffen wird: Ein großes „Ja – aber“.
„Denen da oben einheizen…“
Alle Redner*innen betonen z.B., dass „Putin völkerrechtswidrig“ die Ukraine überfallen habe, um im nächsten Satz auf Expansionspläne der Nato und die Politik der USA hinzuweisen. „Ja, aber…“ scheint
die rhetorische Figur der BSW-Argumente zu sein. Putin? Ja, Angriffskrieg, aber die Nato hat ja auch expandiert. AfD? Ja, aber die etablierten Parteien haben ja auch versagt. Klimakrise? Ja, aber wir brauchen auch die günstige Energie aus Russland. Deutliche Anklagen gegen „Die da oben“, denen man jetzt einheizen will – eine Sprache, die man so auch von anderen Populisten kennt.
Mitten der Südstadt hat sich Frauke Stöber mit ihrer wunderschönen Physiopraxis niedergelassen. Hier behandelt die gebürtige Berlinerin seit…Eine von uns? Sahra Wagenknecht tritt auf
Dann der eher kurz bejubelte Auftritt von Sahra Wagenknecht. Sie arbeitet die Narrative des Stammtischs ab: Ein bisschen Grünen-Bashing („Ricarda Lang weiß nicht, wie hoch die Durchschnittsrente ist“), eine Prise Strack-Zimmermann-Kritik („Strack-Zimmermann ist verbandelt mit den Netzwerken der Rüstungsindustrie“), ein paar Seitenhiebe auf Habeck und die „hafermilchtrinkende“ Berliner Politszene… Wirklich spannend wird ihre Rechtfertigung eines „Russischen Frühwarnsystems, das sich nicht gegen die Ukraine richtet“, und deswegen über atomare Waffen verfüge… Eine krude Logik, die bei den im Dauerregen verbliebenen Zuhörer*innen auf dem Chlodwigplatz auch nicht für Stimmung sorgt.
Sahra kommt – und dann? Wird alles gut?
Sahra und die Lösungen
Bleibt die Frage, was Sahra Wagenknecht und ihre Parteikolleg*innen an Visionen, an Lösungen an diesem regnerischen Abend auf dem Chlodwigplatz anbieten. Auch ich als geneigter und penibler Chronist stehe ratlos vor der Bühne zwischen dm und Döner-Restaurant und versucht, zu notieren: Ach ja, da war ja der Vorschlag, das österreichische System der Rente zu kopieren: Immerhin bekämen die Rentner*innen dort im Schnitt € 400 mehr als bei uns. Stimmt. Es stimmt allerdings
auch, dass die Arbeitnehmer*innen dort
22,8% in die Rente einzahlen, und nicht wie bei uns 18,7%.
Komplexität? Für Differenzierungen ist im Populismus kein Platz. An diesem Abend, beim Stammtisch des BSW auf dem Chlodwigplatz wird klar: das Nachdenkliche, das „Miteinander Nachdenken“ findet hier schonmal nicht statt. Als nächstes kommt die Linke mit ihrer Spitzenkandidatin Carola Rackete am 01. Juni in die Südstadt. Meinungsbildung ist also –direkt vor unserer Haustür– auf jeden Fall möglich.
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