Ein Beitrag von Dieter Schöffmann Bei öffentlichen Veranstaltungen zum bürgerschaftlichen Engagement und seiner Förderung werden immer wieder pauschale Statements der Art abgegeben, dass es „kein Ehrenamt ohne Hauptamt“ gebe, „Ehrenamt […]
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„Ehrenamt“ und „Hauptamt“ – wer braucht wen?Ein Beitrag von Dieter Schöffmann
Bei öffentlichen Veranstaltungen zum bürgerschaftlichen Engagement und seiner Förderung werden immer wieder pauschale Statements der Art abgegeben, dass es „kein Ehrenamt ohne Hauptamt“ gebe, „Ehrenamt der hauptamtlichen Struktur bedürfe“ oder dass „das Ehrenamt das Hauptamt nicht ersetzen“ dürfe bzw. könne.
Diesen Positionen möchte in dieser pauschalen Ausrichtung widersprechen. Sie sind meiner Beobachtung nach vor allem aus einer berufsständischen Lobbyperspektive der Sozialen Arbeit geprägt. So begann in den 1970er Jahren in so manchen Bereichen eine Verdrängung bürgerschaftlicher Initiative durch frisch ausgebildete Sozialarbeiterinnen und -arbeiter. Ein befreundeter Kollege berichtete kürzlich von seinen entsprechenden Erfahrungen mit einem selbstverwalteten Jugendzentrum, dass er selbst mit aufgebaut hatte. Von dem Moment an, als die Stadt dem Jugendzentrum ein oder zwei bezahlte Sozialarbeiterinnen oder -arbeiter zur Verfügung gestellt hatten, ging das Engagement zurück. Und im Sozialarbeitsstudium, dass er dann selbst absolviert hat, lautete die Parole: „Professionalisierung, um vom Amateurhaften im Sozialbereich wegzukommen.“
Eine solche Tendenz zum Herausdrängen des freiwilligen, bürgerschaftlichen Engagements war noch um die Jahrtausendwende zum Beispiel in den Diakonischen Werken festzustellen – auch im Zuge der Umwandlungen von Einrichtungen in gGmbHs. Dies war aus Sicht des damaligen Präsidenten des Diakonischen Werks, Jürgen Gohde, ein strategisches Problem für die Qualität wie auch für die Gemeinnützigkeit der Diakonischen Werke. Vor diesem Hintergrund wurde zum Internationalen Jahr der Freiwilligen 2001 die Kampagne „Handeln Ehrensache!“ (handeln-ehrensache.de)
[1] auf den Weg gebracht, die sich im Wesentlichen nach innen, an die Diakonischen Werke in Deutschland richtete. Die Botschaft von Herrn Gohde lautete:
„Wer sich ehrenamtlich engagiert, kann etwas bewegen, aktiv sein, etwas verändern, mitgestalten. Und dies gilt für beide Seiten: für den aktiven Menschen genauso wie auch für die Einrichtung, in der er oder sie mitarbeitet. Ehrenamtliches Engagement bietet somit viele Chancen, die genutzt werden wollen.
Mit der Kampagne ‚Handeln Ehrensache!‘ werden Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft und Motivation angesprochen, um sie für die Diakonie und Kirche als ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen. ‚Handeln Ehrensache!‘ kann jedoch nur dann erfolgreich wirken, wenn diakonische Einrichtungen und Dienste bereit sind, sich ab jetzt oder weiterhin Ehrenamtlichen zu öffnen.
Deshalb bitte ich Sie: Machen Sie mit!“ [DW 2000, US.2]
Also die Frage, wer wen braucht, lässt sich nicht so einseitig beantworten.
Eigenmächtigkeit und Eigenständigkeit des Engagements
Thomas Röbke, langjähriger und vielfältiger Praktiker des bürgerschaftlichen Engagements charakterisiert das Engagement als „Humus der Gesellschaft“ und beschreibt seine nitiativkraft wie folgt:
„Seine Impulse auf die bestehende Kultur des Zusammenlebens mit ihren Regeln und ihren Selbstverständlichkeiten können enorme Kraft entfalten. Es kann nicht nur Stammtische in Unruhe versetzen, sondern sogar Hunderttausende auf die Straße bringen. Es kann leise und beharrlich sein, aber auch laut und fordernd. Es kann Traditionen stärken, aber auch Neuem den Weg bahnen. Eine Frauenbewegung, eine Ökologiebewegung waren und sind bis heute im Wesentlichen durch Bürgerschaftliches Engagement getragen. Vieles, was wir heute fraglos akzeptieren und begrüßen, war noch vor Jahrzehnten eine gesellschaftliche Kampfzone. Man denke beispielsweise an die ehrenamtlich getragene Hospizbewegung, die zu einer Zeit, als die technizistische Apparatemedizin das Nonplusultra darstellte, an die menschliche Qualität erinnerte, die es auch am Lebensende zu bewahren gilt auch und gerade da, wo es keine Heilung mehr gibt. Oder an die Eltern, die in den 1950er Jahren für eine angemessene Betreuung ihrer behinderten Kinder stritten und mit der Lebenshilfe einen enorm erfolgreichen Träger inklusiver Arbeit geschaffen haben […].“ [Röbke 2021, 4]
Bürgerschaftliches Engagement bewegt sich also in einem Spektrum vom eigenmächtigen, autonomen, gar sozialunternehmerischen Engagement, das sich bei Bedarf ein von ihm geleitetes hauptamtliches Personal zulegt bis hin zur engagierten Hilfstätigkeit, die einer fachlichen Anleitung bedarf und diese ggf. auch einfordert. Wo und wann wer wen als Unterstützung bzw. Anleitung benötigt, hängt also wesentlich vom Handlungsfeld wie auch von der Verortung in der Aufgabenstruktur einer Organisation ab: Für den ehrenamtlichen Vorstand zum Beispiel sind Hauptamtliche die professionellen Zuarbeiterinnen und Zuarbeiter aber nicht die Anleiter.
Schließlich ist das Thema „Hauptamt vs. Ehrenamt“ geprägt von der Minderheit der gemeinnützigen Organisationen, die überhaupt über ein hauptamtliches Personal verfügen. Laut dem ZIVIZ-Survey 2023 verfügen 73 Prozent der 656.888 zivilgesellschaftlichen Organisationen (davon 94 Prozent eingetragene Vereine) über kein bezahltes Personal [Schubert u.a. 2023, 2]. Auch hier findet bürgerschaftliches Engagement – ohne jedes Hauptamt – statt.
[1] Konzipiert und realisiert wurde diese Kampagne von meiner Agentur VIS a VIS in Kooperation mit der Agentur MediaCompany (Bonn).
AutorDieter Schöffmann ist selbständiger Berater und in Teilzeit Bereichsleiter „Politische Partizipation“ bei der Kölner Freiwilligen Agentur. Ehrenamtlich ist er u.a. aktiv als Sprecher der Arbeitsgruppe „Kommune und Engagement“ des Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (www.b-b-e.de/kommune)
QuellenDW 2000: Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.): Gemeinsam stark für Andere – Ehrenamtliches Engagement als Chance. Stuttgart 2000
Röbke 2021: Der Humus der Gesellschaft. Über Bürgerschaftliches Engagement und die Bedingungen, es gut wachsen zu lassen. Wiesbaden (Springer VS) 2021
Schubert u.a. 2023: Schubert, Peter; David Kuhn & Birthe Tahmaz: Der ZiviZ-Survey 2023: Zivilgesellschaftliche Organisationen im Wandel – Gestaltungspotenziale erkennen. Resilienz und Vielfalt stärken. Berlin (ZiviZ im Stifterverband) 2023