Ein Gastbeitrag von Melanie Raabe Brennpunkt, Drogenumschlagplatz, städtebaulicher Alptraum, Inbegriff der Hässlichkeit. Er hat keinen guten Ruf, der Ebertplatz. Die meisten Menschen, die ich kenne, finden ihn schlicht scheußlich. Viele betreten ihn nur, wenn sie unbedingt müssen: auf dem Weg zur U-Bahn. Und es ist sicherlich angenehmer, irgendwo in Rodenkirchen oder Lindenthal in die Stadtbahn […]
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Alle Gefühle auf einmal: der EbertplatzEin Gastbeitrag von Melanie Raabe
Brennpunkt, Drogenumschlagplatz, städtebaulicher Alptraum, Inbegriff der Hässlichkeit. Er hat keinen guten Ruf, der Ebertplatz. Die meisten Menschen, die ich kenne, finden ihn schlicht scheußlich. Viele betreten ihn nur, wenn sie unbedingt müssen: auf dem Weg zur U-Bahn. Und es ist sicherlich angenehmer, irgendwo in Rodenkirchen oder Lindenthal in die Stadtbahn zu steigen, als am Ebertplatz. Dennoch ist er für mich kein durch und durch schlimmer, sondern ein ambivalenter Ort.
Eine Zeit lang kannte ich den Ebertplatz nur als dieses unschöne, nachts auch durchaus furchteinflößende Stück Köln, das es auf dem Weg zur Bahn hin und wieder zu durchqueren galt wie Feindesland. Ich hetzte zur KVB, schaute so wenig nach links und rechts wie möglich, warf ab und zu eine Münze in einen neben einer alten Matratze geparkten Pappbecher und war jedes Mal froh, wenn ich den Platz hinter mir gelassen hatte.
Das Engagement verschiedener Vereine hat meine Beziehung zum Ebertplatz jedoch verändert. Als ich eines Tages im Sommer von einer längeren Auslandsreise nach Hause und am Ebertplatz vorbeikam, erkannte ich ihn zunächst kaum wieder. Der Brunnen in der Mitte des Platzes spie plötzlich Wasser, Kinder tobten darin herum. Die Szene erinnerte an US-amerikanische Filme, in denen Kids in heißen New Yorker Sommern die Hydranten öffnen und in den Wasserfontänen herumtanzen. Eltern saßen entspannt daneben, plauderten, tranken Kaffee oder Fassbrause aus der Flasche. An Stellen, an denen sonst nur Glassplitter und Zigarettenkippen die verhärtete Erde bedeckten, blühten plötzlich Wild- und Sonnenblumen. Ein paar engagierte Menschen hatten sich des Platzes angenommen – und ihn transformiert. Zumindest tagsüber. Zumindest für eine Weile. Ich war erstaunt.
Dass es in den Ebertplatzpassagen einen netten Copyshop und ein alteingesessenes afrikanisches Restaurant gibt, wusste ich schon länger. Auch die Kunstszene, die sich hier angesiedelt hat, ist spannend. Das Projekt Gold + Beton beispielsweise.
Im Frühjahr 2021 wurde der Ebertplatz sogar zeitweise zu einem Ort der Literatur: Als während der Pandemie die Schauplätze von Kunst und Kultur in der Stadt schließen mussten, fand am Ebertplatz die Outdoor-Installation TRANSIT statt, ein Literaturprojekt für den öffentlichen Raum. Dafür hatte man ein über fünfzig Meter langes LED-Laufband installiert, auf dem kurze literarische Texte von Kölner Autorinnen und Autoren präsentiert wurden. Ich erinnere mich, wie Menschen stehen blieben und innehielten, um zu lesen. Schön war das.
Der Ebertplatz ist immer noch Brennpunkt, Drogenumschlagplatz, städtebaulicher Alptraum, Inbegriff der Hässlichkeit. Aber er ist auch ein Ort der Kreativität.
Vor allem aber ist der Ebertplatz ein Ort der Emotion. Ich habe hier schon so ziemlich alles gefühlt. Angst, und das nicht zu knapp. Mitleid, Traurigkeit. Ekel. Geschäftigkeit und Eile. Aber angesichts des Engagements und der Kreativität und des Gestaltungswillens, der hier an manchen Stellen immer wieder durchbricht – wie eine Blume, die durch eine Ritze im Beton hindurch wächst und gegen alle Widerstände blüht – auch Erstaunen, Dankbarkeit, Rührung und Freude.
Wenn ich das Leben an sich mit einem Ort beschreiben müsste, wäre der Ebertplatz gar keine schlechte Wahl. Er ist hart und hässlich aber, wenn man genauer hinschaut, dann ist er irgendwo auch schön, manchmal.
–
Melanie Raabe, 2021