Emmastraße Ein Gastbeitrag von Eva Weissweiler Nein, das Haus in der Emmastraße 27 in Köln-Sülz, in das Luise Straus-Ernst 1929 einzog, hat nichts von dem »funkelnden Edelstein«, mit dem ihr Sohn Jimmy es später verglich. Es ist ein schmuckloser Bau, fast etwas trist in seinem Einheitsgrau, aber damals war es wohl richtig modern, vor allem […]
Wohnort von Luise Straus-ErnstEmmastraße
Ein Gastbeitrag von Eva Weissweiler
Nein, das Haus in der Emmastraße 27 in Köln-Sülz, in das Luise
Straus-Ernst 1929 einzog, hat nichts von dem »funkelnden Edelstein«, mit dem ihr Sohn Jimmy es später verglich. Es ist ein schmuckloser Bau, fast etwas trist in seinem Einheitsgrau, aber damals war es wohl richtig modern, vor allem im Vergleich zum Protz- und Prachtpalast am Kaiser-Wilhelm-Ring 14, wo sie vorher gewohnt hatte, im Haus eines deutsch-nationalen Zahnarztes mit Schmissen im Gesicht, der kein Hehl daraus machte, dass er sie nicht mochte: Jüdin, geschieden, mit dubiosen Künstlern und Kommunisten verkehrend, und dazu noch Schriftstellerin, Kunsthistorikerin und Journalistin – nichts Solides, sodass sie oft mit der Miete im Rückstand war.
Buchumschlag unter Verwendung einer Fotografie von August Sander, L. Straus-Ernst und Jimmy Ernst, Köln 1928
Sie war froh, als sie endlich ausziehen konnte aus diesem Haus, in dem alles noch an Max Ernst (1891–1976) erinnerte, ihren einstigen Mann, der sie 1922 verlassen hatte, obwohl ihr Sohn Jimmy (1920–1984) damals nicht einmal zwei Jahre alt war. In seinem ehemaligen Atelier lagen noch immer Bilderstapel, die er irgendwann abholen wollte, um sie zu verkaufen. Es roch noch immer nach Farbe, Leim und nach Ehestreit, denn er konnte furchtbar wütend werden, wenn sie nicht gut genug gefegt hatte oder ihm beim Malen über die Schulter sah. Das Wohnzimmer war mit seltsamem Nippeskram eingerichtet, auf den er, warum auch immer, bestanden hatte, Blumentöpfen, Mahagoni-Möbeln, Antiquitäten, Fotos in Goldrahmen und zerschlissenen Perserteppichen.
Das schaffte sie alles fort und kaufte sich neue, moderne Möbel, die sie zartgrün lackierte. Für die Wände wählte sie ein helles Grau und um die Lampen band sie Schleier aus rosa Gaze, die fast ein wenig frivol wirkten, ähnlich wie der breite, groß geblümte Diwan, auf dem schon viele Männer gesessen hatten, Kurt Weill, Hanns Eisler, Bertolt Brecht, Joachim Ringelnatz und »der kölsche Willi«.
Die Wohnung im vierten Stock war hell und freundlich, hatte einen Balkon und für jeden ein eigenes Zimmer, für sie selbst, für Jimmy und sogar für Maja, Jimmys Ersatzmutter, die sich um sein körperliches Wohl sorgte, während Luise für das geistige zuständig blieb und ihn mit ihren berühmten Freunden bekanntmachte.
Sie kamen gerne, seitdem sie umgezogen war und nicht mehr in der dunkeln Dachwohnung am Ring lebte. Ringelnatz zum Beispiel, der fast immer betrunken, aber meistens sehr gut gelaunt war. Als Jimmy einmal befürchtete, Maja könnte sein Frühstücksei zu weich gekocht haben, nahm Ringelnatz es in die Hand, trat auf den Balkon und ließ es hinunter auf die Emmastraße fallen, um zu prüfen, ob es nicht doch vielleicht hart genug sei?
Am Kaiser-Wilhelm-Ring hatten sie unter Ärzten, Bankiers und Kommerzienräten gelebt. Hier, auf der Emmastraße, wohnte der Mittelstand: kleine Kaufleute, Handwerker und Sekretärinnen, ein paar Lehrer und Buchhalter, eine Klavierlehrerin. Die Straße war kurz, schmal und sehr überschaubar. Jeder kannte jeden. Am bekanntesten war Hans Wocke (1904–1972), Sänger beim Westdeutschen Rundfunk, den man manchmal mit seinem schönen Bass-Bariton singen hörte:
Rose Marie, Rose Marie,
Sieben Jahre mein Herz nach Dir schrie,
Rose Marie, Rose Marie,
Aber du hörtest es nie.
Gleich um die Ecke fing Frankreich an, auf der Sülzburgstraße nämlich, wo es so bunt und so fröhlich zuging wie in einem Quartier von Paris und es buchstäblich alles zu kaufen gab: Schuhe, Nähmaschinen, Bücher, Süßigkeiten, Kolonialwaren, Fleisch, Seife, Obst, Blumen, Spielsachen, Brillen, ja, leider auch Kuchen, den Luise oft und gern zu sich nahm und mit einem Extra-Klecks Sahne versah, obwohl sie ohnehin schon zur Fülle neigte und nicht sehr groß war.
Sülz oder »Sölz«, wie die Kölner es nannten, wirkte überhaupt sehr französisch mit seinen vielen schön angelegten Plätzen, dem Auerbach-Platz, dem Hermeskeiler Platz, dem De-Noel-Platz und dem Manderscheider Platz, auf denen Jimmy und seine Freunde Fußball spielten oder als Cowboys, Trapper und Indianer miteinander kämpften. Nach solchen Nachmittagen kam er glücklich und erschöpft zurück in die Emmastraße, wo Maja ihm manchmal den Hintern versohlte, weil er sich schon wieder schmutzig gemacht hatte. Aber am Abend, wenn sie gemeinsam um den Ess-Tisch saßen, war alles wieder gut. »Die Themen reichten von Trivialitäten bis zu Tragödien«, schreibt Jimmy in seinen Erinnerungen. »Unser Beisammensein zwanglos und intim, als wären wir die drei einzigen Menschen auf der Welt.« Später, wenn er schon im Bett war, legte Lou eine Jazzplatte auf, schenkte sich ein Glas Wein ein und tanzte einen Tango mit sich selbst.
Sie lebte ganz für ihren Sohn, ihre Freunde und ihre Arbeit, ihre Artikel für den
Querschnitt, die
Vossische, den Westdeutschen Rundfunk und die
Dresdner Neuesten Nachrichten. Dabei ging es um Kunst und Kultur, Reisen, den Dom, den kölschen
Karneval, um moderne Architektur, manchmal um Frauenthemen, aber niemals um Politik, denn Politik interessierte sie nicht. »Ich hatte mich nie aktiv mit Politik befasst, die Zeitungen eher flüchtig gelesen und mich immer auf meine Arbeit konzentriert«, schreibt sie in ihren Erinnerungen.
Deshalb merkte sie nicht, dass seit 1932 in den Straßen gekämpft wurde, dass Nachbarn ein Hakenkreuzabzeichen am Revers trugen, sich im Park hinter der Nikolaus-Kirche trafen und das Horst-Wessel-Lied sangen, wobei es manchmal zu Schlägereien mit Kommunisten kam, nach denen Verletzte oder gar Tote im Gebüsch lagen. Sie glaubte auch nicht, dass es wirklich stimmte, als Jimmy mit tränenerstickter Stimme erzählte, drei SA-Leute hätten ihn an einer Straßenecke überfallen und ihm die Hose heruntergezogen, weil sie sehen wollten, ob er Jude sei. Das könne nicht sein, sagte sie, der Krieg sei vorbei, der Kaiser im Exil und der Oberbürgermeister, Konrad Adenauer, ein freundlicher Demokrat, der auch die Juden in ihrer Stadt beschützen würde.
Eines Nachts, kurz nach dem Reichstagsbrand, klingelten zwei SS-Leute an ihrer Tür. Sie verlangten, in die Wohnung eingelassen zu werden und durchwühlten Papiere, Kleider, Bücher und Kunstwerke, ja sogar Jimmys Spielsachen. Das war das Ende einer kurzen, glücklichen Zeit auf der Emmastraße. Luise beschloss, ins Pariser Exil zu gehen. Im Mai 1933 fuhr sie ab. Maja und Jimmy begleiteten sie zum Bahnhof und gingen zurück in die schon fast leer geräumte Wohnung, wo sie ein letztes Mittagessen zusammen einnahmen. Danach sollte Jimmy zu seinen Großeltern ziehen, die er nicht sonderlich liebte. Am nächsten Tag, einem Montag, ging er wie in Trance von der Schule zurück in die Emmastraße. Hinter der geschlossenen Wohnungstür hörte er gewaltigen Lärm. Es klang, als ob Möbel geschoben würden. Als er klingelte, öffnete ihm ein Unbekannter:
»Heißt du Ernst?« wurde er gefragt.
Er nickte. Der Mann machte die Tür wieder zu sagte:
»Du wohnst hier nicht mehr.«
Gunter Demnig: Stolpersteine für Dr. Louise Straus-Ernst, Emmastraße 27 © Foto: 1971markus CC BY-SA 4.
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Eva Weissweiler
Literatur: Straus-Ernst: Nomadengut, S. 125-130; Ernst: Nicht gerade ein Stilleben; Weissweiler: Notre Dame.