Als die Katholische Volksschule 1873 nach Plänen des Architekten Heinrich Müller erbaut wurde, gehörte Raderthal noch zur Bürgermeisterei Rondorf im Landkreis Köln. Erst 1888 wurde Raderthal ein Stadtteil von Köln und die Bevölkerungszahlen stiegen stetig an. Anfang des 20. Jahrhunderts und besonders nach dem Ersten Weltkrieg bestimmten gesellschaftliche und politische Umwälzungen nicht nur die Politik, […]
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Heinrich Böll – Katholische Volksschule RaderthalKatholische Volksschule Raderthal, 1873 erbaut, im Krieg zu 95% zerstört und nach dem Krieg nicht mehr aufgebaut.
Als die Katholische Volksschule 1873 nach Plänen des Architekten Heinrich Müller erbaut wurde, gehörte Raderthal noch zur Bürgermeisterei Rondorf im Landkreis Köln. Erst 1888 wurde Raderthal ein Stadtteil von Köln und die Bevölkerungszahlen stiegen stetig an. Anfang des 20. Jahrhunderts und besonders nach dem Ersten Weltkrieg bestimmten gesellschaftliche und politische Umwälzungen nicht nur die Politik, sondern auch die Schule. Es gab Reformideen, die sich allerdings nicht alle umsetzen ließen. Das Schulgeld für die Volksschule wurde abgeschafft, die Prügelstrafe dagegen blieb weiterhin ein erlaubtes und vielfach angewandtes Erziehungsmittel. Acht Jahre dauerte die Volksschulzeit und endete mit dem Volksschulabschluss. Eine weitere Reform war die gemeinsame Grundschule, damit unterschiedliche soziale Schichten zusammenkommen, um so den gesellschaftlichen Problemen durch die sozialen Klassengegensätze entgegenwirken zu können. Nach vier gemeinsamen Jahren sollten die Schülerinnen und Schüler wieder auf verschiedene Schulformen aufgeteilt werden. Konfessionelle Volksschulen, so die Idee der Schulreformer, sollten die Ausnahme bleiben. Doch im stark katholisch geprägten Köln wurden die bekenntnisfreien Schulen bzw. städtischen Volksschulen schon bei ihrer Gründung 1921 als »Gottlosen-Schulen« von Kirche und Zentrumspartei erbittert bekämpft. In den Katholischen Volksschulen gehörte der Religionsunterricht zu einem der wichtigsten Fächer. Dort wurden neben der Vermittlung der biblischen Geschichte vor allem Gebete und Kirchenlieder eingeübt. Zentral war die Unterweisung im Katechismus, der den erzieherischen Charakter der Religionsstunde in den Vordergrund stellte. Neben der Katholischen Schule gab es noch eine freie Schule, die nördlich gelegene »Sammelschule« in der Pfälzer Straße 34 in Raderberg.
Klassenfoto von 1924 (Heinrich Böll obere Reihe, 6. Von links)
Familie Böll bezog am 25. Juli 1922 in Raderberg ein Einfamilienhaus mit Garten in der
Kreuznacher Straße 49. Heinrich Böll verbrachte an diesem Ort, mit dem eigenen Garten und der Nähe zum Vorgebirgspark, eine unbeschwerte Kindheit und Schulzeit. In dem Essay
Raderberg, Raderthal beschreibt er ausführlich die verschiedenen Freizeitbeschäftigungen und Kinderspiele. In dieser Zeit wurde ihm seine Vorurteilslosigkeit gegenüber den von Standesdünkel und Klassendenken ausgegrenzten Menschen bewusst. Er bezeichnete sich als »größen- bzw. milieublind« so, wie andere Menschen farbenblind sind und in dem oben erwähnten Essay heißt es: »Ich habe nie […] begriffen, was an den besseren Leuten besser gewesen wäre oder hätte sein können. Mich zog‘s immer in die Siedlung, die wie unsere neu gebaut war, in der Arbeiter, Partei- und Gewerkschaftssekretäre wohnten; dort gab es die meisten Kinder und die besten Spielgenossen, immer genug Kinder, um Fußball, Räuber und Gendarm, später Schlagball zu spielen.« Ostern 1924 wurde Heinrich Böll in die Katholische Volksschule Brühler Straße 204 eingeschult. Der Kontakt zu seinen Spielgenossen brach mit der Einschulung ab. »Ich kam, als ich sechs war, in die katholische, die meisten von ihnen in die ›freie‹ Schule; wir hatten nicht einmal den Schulweg gemeinsam, und gemeinsam zu spielen war nicht mehr die Regel, sondern die Ausnahme.« Nach vier Jahren Volksschule wechselte Heinrich Böll am 17. April 1928 in die Sexta des Staatlichen Kaiser-Wilhelm-Gymnasiums, Heinrichstraße 6, wo er am 6. Februar 1937 sein Abitur ablegte.
Bölls Interesse an pädagogischen Fragen im Zusammenhang mit Kindern im »Volksschulalter« beruhte auf der eigenen Erfahrung als Nachhilfelehrer in der unmittelbaren Nachkriegszeit und findet sich in seinem literarischen Werk, angefangen von der Erzählung
Daniel der Gerechte bis hin zu den Protagonisten Martin Bach und Heinrich Brielach in dem Roman
Haus ohne Hüter. Bölls weiterführende Gedanken zu diesem Themenkomplex sind auch in dem 1949 geschriebenen Essay
Die Volksschulen nach dem 8. Mai 1945 artikuliert. Darin heißt es:
Es wäre noch besonders zu sprechen über die Aufgabe der Volksschulen als Zubringer zu den höheren Schulen, über die vielfachen Pläne zum Ausbau der Volks- und Abbau der höheren Schule. Was wirklich wohl über alle Streitigkeiten in dieser Frage hinaus das allgemeine Ziel sein müsste, ist die völlige Schulgeldfreiheit und eine wirkliche Auslese der Intelligenz. Einzig aus materiellen Gründen dürfte kein begabter Volksschüler gehindert sein, des Bildungsgutes der höheren Schule teilhaftig zu werden, während bei dem bestehenden System manchem unbegabten ›gutsituierten‹ Schüler – dem die erforderliche Nachhilfe gewährt werden kann – krampfhaft der Weg zur Universität geebnet wird. Eine wirkliche Auslese der Intelligenz würde auch die Furcht vor einem allzu großen Andrang auf die höheren Schulen illusorisch machen. Hier öffnet sich auch die Möglichkeit einer engeren Zusammenarbeit zwischen Volks- und höheren Schulen, die vielfach durch Ressentiment auf der einen und Hochmut auf der anderen Seite behindert ist.
Dieser Essay wurde nicht veröffentlicht, vermutlich aus »Raumgründen«, wie die Antwortkarte der
Kölnischen Rundschau vom 29. August 1949 rückschließen lässt.
©
– Gabriele Ewenz / Markus Schäfer, 2024
Gabriele Ewenz Dr. phil., Literaturwissenschaftlerin, Leiterin des Heinrich-Böll-Archiv und des Literatur-in-Köln Archiv (LiK)
Markus Schäfer Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin
Literatur Siehe: Böll: Raderberg, Raderthal, S. 385; Die Volksschulen nach dem 8. Mai 1945, S. 162