Ein Gastbeitrag von Sabine Schiffner Rolf Persch ist ein Vagabund gewesen, ein ruheloser Wanderer, ein Mensch, der lange Zeit keinen festen Raum brauchte. Aber es gab Räume in Köln, die für ihn wichtig waren, Räume, die auch mit seinem Schreiben zu tun hatten. Einige dieser Räume sind in der Kölner Südstadt. Ein ganz besonderer Raum […]
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Rolf Persch – Der dichtende DandyEin Gastbeitrag von Sabine Schiffner
Rolf
Persch ist ein Vagabund gewesen, ein ruheloser Wanderer, ein Mensch, der lange Zeit keinen festen Raum brauchte. Aber es gab Räume in Köln, die für ihn wichtig waren, Räume, die auch mit seinem Schreiben zu tun hatten. Einige dieser Räume sind in der Kölner Südstadt. Ein ganz besonderer Raum war für ihn das Ladenlokal »235«, das sich auf der Bonner Str. 60 befand. Dorthin geführt hatte ihn Anfang der 80er Jahre der Geldmangel. Immer wenn er Geld brauchte, suchte er sich Jobs, gerne vermittelt von Freunden aus seinem Dunstkreis, in denen sich der Künstler und Philosoph, der scharfzüngige Beobachter und Sprachkünstler mit dem phänomenalen Gedächtnis bewegte. Von München aus, wo er eine Ausbildung bei einer Schauspiellehrerin begonnen und bald wieder abgebrochen hatte, um sich dem Schreiben zu widmen, ging er Anfang der 80er Jahre zurück nach Köln, wo er in der Südstadt in dem neu eröffneten Laden »235« auf der Bonner Straße 60 eine Anstellung als Verkäufer fand. Dort gab es Avantgardekleidung und Zeitungen wie die damals sehr trendige »Interview« genauso wie die ersten Tattooshows.
Schaufenster des Ladenlokals in der Bonner Straße 60 © Sabine Schiffner
Gleichzeitig leierten die Besitzer des Ladens, Ulrich Leistner und Axel Wirths, erste Medienprojekte an, verkauften Videos von Künstlern und Minieditionen zusammen mit Bootlegs. Bis heute existiert die Medienproduktionsfirma »235« unter diesem Namen, aber jetzt in anderen Räumlichkeiten. Das Schaufenster wurde damals jedoch nicht nur für Kleidung und Videos genutzt, sondern diente auch dazu, anarchistisch-politische Slogans zu verbreiten. In diesem Laden also, in dem Persch angestellt war, um Klamotten zu verkaufen, hängte er bald seine Gedichte, hochkopiert, ins Schaufenster. Schlafen tat er mal hier mal da, manchmal bei wechselnden Freundinnen, manchmal in Ateliers von Künstlerkollegen oder im besetzten »Stollwerck«. Zuweilen schreckte er nachts hoch, weil ihm einfiel, dass eines der Gedichte, die er im Schaufenster ausgestellt hatte, korrigiert werden musste. Dann stand er auch schon mal im Mondschein auf, ging zu dem Laden auf der Bonner Straße, schloss ihn auf und änderte es.
Schaufenster des Ladenlokals in der Bonner Straße 60 © Sabine Schiffner
Persch war beim Schreiben von Anfang an perfektionistisch bis hin zur Pingeligkeit. Die Gedichte im Schaufenster erregten Aufsehen und machten auf den Rückkehrer aus München, den man bis dahin in der Domstadt nicht kannte und der schon einige Jahre als Straßenbauer, Beleuchter bei Roncalli, Fixer und auch einen Gefängnisaufenthalt hinter sich hatte, aufmerksam. Literaturverleger und Herausgeber kamen in die Südstadt und fragten nach dem Verfasser dieser Texte. Er wurde auf Partys und zu Empfängen eingeladen, wo er bald gern gesehener exzentrischer Gast war. Seine ersten Bücher erschienen in der »Edition fundamental« von Richard Müller, die in Nippes beheimatet war, in kleiner Auflage, handgedruckt.
Die Form, das fertige, getippte und gedruckte Gedicht, spielte bei seinem Schreiben immer eine große Rolle. Vielleicht hat sich hier das väterliche Buchdruckererbe beim Sohn durchgesetzt. Die gedruckte Fassung war für ihn wie ein Bild, und die Gedichte, die er in dem Schaufenster ausstellte, gestaltete er wie Kunstwerke. Auch sein äußeres Erscheinungsbild, das er nicht nur für die Bühne kultivierte, war immer ein künstlerisches, das er genauso pingelig korrigierte wie seine Gedichte.
Rolf Persch © Foto: Isabel Oestreich
Bei seinen Lesungen und öffentlichen Auftritten lebte er sein theatralisches Temperament aus, indem er sich, oft gegen den Stil der Zeit, sehr elegant kleidete, auffällig angezogen war, was durch unzählige exzentrisch wirkende Fotos, die auch in seinen Büchern erschienen, dokumentiert wurde. Er versteckte den ständig unter Geldmangel leidenden armen Dichter hinter dem gut und teuer angezogenen Junggesellen, dem dichtenden Dandy, den er nach außen gab, dem scharfzüngigen witzigen Poeten, der bald eine kleine Kölner Fangemeinde um sich scharte. Das brachte ihn auf die Idee, sich von 1998 an mit Abogedichten sein Leben zu finanzieren. Er schuf sich einen kleinen Kreis von Abonnenten, für die er monatlich ein Gedicht verfasste. Das Gedicht wurde per Hand und mit Durchschlag getippt, der Durchschlag als Titelseite mit dem Original zusammengetackert, darauf kam noch Datum und Unterschrift, auf Wunsch brachte er dann dieses Gedicht bei den Abonnenten, die ab 1998 für monatlich 50 Mark Mitglied in seinem illustren Kreis werden konnten, auch zu Hause vorbei und trug es vor. So konnte er weiterhin, jetzt in der Eifel, sein unabhängiges Leben führen, das vor allem dem Gedichteschreiben gewidmet war. Er fühlte sich in der offiziellen Literaturwelt nie wirklich wohl und zugehörig. Er war ein Vagabund und ein Autodidakt und er wurde dieses Gefühl bis ans Ende seines Lebens nicht mehr los. Ihm war die kleine Form am liebsten, die sich direkt an den Menschen wandte, der vielleicht zufällig vorbeikam, den Passanten, der am Laden vorbeiging, stehen blieb und anfing zu lesen. Für seine frühen Gedichte war das Schaufenster in der Bonner Straße 60, in der sich heute ein skandinavischer Concept Store befindet, ein optimaler Rahmen.
– © Sabine
Schiffner, 2022
Eine kleine Auswahl von Rolf Perschs Gedichten finden Sie
hier.