Der Karneval 1933 aber war ein Totentanz. Wir hatten es alle kommen sehen. Aber wir hatten nicht an den Ernst der Gefahr glauben wollen. So traf sie uns trotz allem unvorbereitet. Ich hatte mich nie aktiv mit Politik befasst, die Zeitungen eher flüchtig gelesen und mich immer auf meine Arbeit konzentriert, die vor allem dem […]
Luise Straus-Ernst: KarnevalDer Karneval 1933 aber war ein Totentanz. Wir hatten es alle kommen sehen. Aber wir hatten nicht an den Ernst der Gefahr glauben wollen. So traf sie uns trotz allem unvorbereitet.
Ich hatte mich nie aktiv mit Politik befasst, die Zeitungen eher flüchtig gelesen und mich immer auf meine Arbeit konzentriert, die vor allem dem Gebiet der Künste galt.
Im Sommer hatte sich mein Berliner Freund bei einem Besuch in unserer Stadt über unsere Kaltblütigkeit gewundert. »Ihr lebt so abseits von dem, was bei uns in Berlin Geschieht«, sagte er. »Wir sind sehr beunruhigt. Wenn ›sie‹ ans Ruder kommen, wird es ja kaum für lange sein. Aber sie können in kurzer Zeit sehr sehr viel Unheil anrichten.«
Wie er das so sagte, im sonnigen Rheinpark unter schattigen Bäumen, hielt ich seine Worte für Übertreibung. Sie waren es nicht. Ganz im Gegenteil. Er sah bei weitem nicht schwarz genug. – Kurz darauf brachten die Reichstagswahlen den Nazis eine erschreckende Mehrheit.
Wir spürten die Gefahr näher, aber es änderte sich bei uns immer noch nichts. Im Rheinland mit seiner vorwiegend katholischen Bevölkerung gab es wenig Anhänger der Nazis, und Antisemitismus in größerem Maßstab war völlig unbekannt. Manchmal gab es nachts Schießereien irgendwo in den Außenvierteln. Kommunisten und Nazis lagen sich in den Haaren. Da meine Freunde und ich weder das eine noch das andere waren, ließen diese Kämpfe uns fast unberührt.
Wohl erschrak ich, als ich zum ersten Mal am 30. Januar 1933, im Radio die mir grotesk erscheinende Bezeichnung »Reichskanzler Hitler« hörte, aber auch jetzt wurde unsere Ruhe kaum gestört. In Berlin ging alles drunter und drüber. Aber bei uns?
»Solange wir unseren Adenauer haben, kann uns nichts geschehen«, sagten wir. Adenauer war der Kölner Oberbürgermeister, eine weit über die Grenzen der Stadt hinaus bedeutende Persönlichkeit voll Initiative und unabhängiger Ideen. Zugleich Vorsitzender des Staatsrates übte er eine entschiedene politische Macht aus. »Der ungekrönte König von Preußen«, sagte man wohl von ihm.
Nein, solange wir ihn haben würden, konnte in unserer Stadt nichts geschehen, waren auch wir Journalisten in unserer Arbeit geschützt. Gewiss! Aber – wie fest saß er denn? […]
Rosenmontag. Die ungewohnt heftige Wahlpropaganda musste an diesem Tag schweigen. Es war Fest. Keiner wollte durch Politik gestört werden in dieser lebenslustigen Stadt. Alle Geschäfte, alle Schulen waren geschlossen, und vom frühen Morgen an schob sich eine bunt kostümierte Menge durch die engen Straßen der Altstadt, nur darauf bedacht, den Festzug von einer günstigen Stelle aus zu sehen.
Am späten Nachmittag hatte ich Jimmy und Maja allein weiter spazieren lassen und ging ins Rathaus. Es war sozusagen Berufspflicht eines Journalisten, den Festzug von dieser offiziellen Stelle aus zu sehen. Aber natürlich war es vor allem Vergnügen; Vergnügen, in dem hübschen Rokokosaal von vielen, gut gelaunten Kollegen fröhlich empfangen zu werden, Vergnügen, den guten Rheinwein aus dem Ratskeller zu trinken und zu der Musik, die von der Straße heraufklang, ein wenig zu tanzen. Vergnügen vor allem, am offenen Fenster zu lehnen und auf den Platz hinunter zu blicken, der schwarz von Menschen war, nein, eigentlich nicht schwarz, denn da waren bunte Federhüte und spitze Clownskappen, fuchsrote Perücken und zerrissene Regenschirme, von deren nacktem Gestänge bunte Bänder flatterten. Da stelzte ein Riese durch die Menge, oder ein ganz Dicker ließ sich auf einem Wagen schieben. […]
Die schmalen, alten Häuser mit ihren hohen, spitzen Giebeln sahen auf dies alljährlich wiederkehrende Bild nieder und gegenüber die ernsten Türme von St. Martin. Ahnte niemand, was vorging? Spürte keiner dieser Ausgelassenen, dass die Festfreude sich bald in Schrecken verwandeln würde, dass etwas im Anzuge war, das harmloser Freude und unabhängiger Meinung für lange Zeit ein Ende machen würde? […]
Noch ein Tango mit Jo. Dann packte einer der Stadträte uns in seinen großen Wagen und fuhr uns zu seiner Villa, wo es einen Imbiss und wieder wunderbaren Wein gab.
Als ich endlich heimkam, waren schon Freunde da, um mich zum Ball abzuholen. Schnell machten wir uns zurecht. […] War ich müde an dem Abend? Oder spürte ich eine Vorahnung? Über dem Fest in den kleinen, verräucherten Sälen schien mir eine Wolke zu lasten. Es waren die gleichen kostümierten Menschen, fast alles Bekannte, die gleichen Lieder, der gleiche fröhliche Lärm, der sich zeitweise zu wildem Stampfen und Geschrei steigerte. – Und es war doch nicht das Gleiche.
Die Menschen hier, das war schließlich keine namenlose Masse. Das waren Künstler, Intellektuelle, die eigentlich ahnen mussten, um was es im Lande ging. Wie viele von ihnen würden nächstes Jahr noch hier tanzen? Heute tanzten sie auf einem Vulkan … Und viele von ihnen wussten es auch …
Ich hatte keine Lust, mitzutoben wie sonst, drückte mich in den Ecken herum. Kurz nach Mitternacht kam ein Junge auf mich zu, der ein Cabarett leitete. Seine schwarzen Augen glänzten.
»Der Reichstag brennt«, sagte er mir leise. Nichts weiter. Dann sprach er mit Anderen. Die Nachricht machte die Runde, flüsternd. Man wusste nichts von den näheren Umständen, offiziellen oder inoffiziellen. Man konnte eigentlich die Folgen jetzt nicht übersehen. Aber trotzdem zeigte der Ernst auf vielen Gesichtern, dass sie begriffen hatten.
Das Fest ging weiter … Ohne mich von Jemandem zu verabschieden, fuhr ich nach Hause … Für mich war das Fest zu Ende …
Literatur: Straus-Ernst: Nomadengut, S. 125-130.