Hast du dich schon einmal gefragt: Wo sind eigentlich die Altlinken geblieben, die in vergangenen Jahrzehnten politische Bewegungen getragen haben? Haben sie sich etwa mit den herrschenden Verhältnissen abgefunden? Ich denke nicht. Vielmehr liegt die Vermutung nahe, dass sie schlicht nicht mehr die Zeit und Energie haben, um sich aktiv in linksradikalen Gruppen zu engagieren. Das Problem ist nicht ein Mangel an Idealen, sondern ein strukturelles Defizit innerhalb der Bewegungen selbst.
Linke Gruppen als Verlustgeschäfte
Viele linksradikale Gruppen fordern von ihren Mitgliedern mehr, als sie zurückgeben. Was Einzelne an Zeit, Energie und emotionaler Belastbarkeit in die Gruppen investieren, steht oft in keinem Verhältnis zu dem, was sie daraus mitnehmen können. Damit wird die Teilnahme an solchen Gruppen zu einem Privileg, das nur jenen offensteht, die über die entsprechenden Ressourcen verfügen. Es entsteht eine Dynamik, in der Menschen mit wenig Kapazität oder hoher Belastung ausgeschlossen bleiben.
Diese Problematik ist zentral, denn sie schafft eine Distanz zwischen den Gruppen und der breiten Bevölkerung. Gruppen, die so operieren, bezeichne ich als "aktivistisch". Sie basieren auf einem Modell, das großen Einsatz verlangt, aber kaum Spielraum für jene lässt, die nur begrenzt beitragen können, weil sie mit dem Kampf ums Überleben bereits ausgelastet sind.
Das Problem dieser aktivistischen Gruppen ist, dass sie keine gegenseitige Hilfe d.h. Mutualismus darstellen. Mutualismus würde bedeuten, dass alle Beteiligten von der Zusammenarbeit profitieren. Doch faktisch bleibt dieser Nutzen für die Mitglieder der meisten Gruppen aus. Stattdessen entsteht eine Asymmetrie: Die Gruppe opfert sich auf, ohne dass ihre Hingabe in irgendeiner Weise ausgeglichen wird.
Zwar könnten diese Gruppen durch ihre Wechselwirkung mit der Umwelt zu mutualistischen Strukturen werden, aber das setzt voraus, dass ihre selbstlose Hingabe erwidert wird. In der Praxis geschieht dies jedoch selten. Die von solchen Gruppen bereitgestellten Dienste entlasten ihre Empfänger*innen nicht in einem Maß, das sie selbst zu weiterer Unterstützung befähigen würde. Das Ungleichgewicht bleibt bestehen.
Ich behaupte: Wenn linke Bewegungen wirklich in der breiten Bevölkerung verankert sein wollen, müssen ihre Strukturen mutualistisch werden. Organisationen müssen ihren Mitgliedern mehr Nutzen bringen, als sie kosten. Erst dann wird eine nachhaltige Beteiligung möglich, die über den engen Kreis von Privilegierten hinausgeht.
Das Problem liegt im Aufbau solcher Organisationen. Der initiale Aufwand ist enorm – oft um ein Vielfaches größer als die spätere Aufrechterhaltung. Dieser Umstand erschwert es weniger privilegierten Personen, die auf mutualistische Strukturen angewiesen wären, solche Organisationen aus eigener Kraft zu gründen.
Indirekte Aktion als Strategie
Hier kommt die aktivistische Linke ins Spiel. Ich bin der Meinung, dass freie Kapazitäten viel stärker in den Aufbau zukünftig mutualistischer Organisationen fließen sollten. Der Leitgedanke, den ich vorschlage, lautet "Indirekte Aktion". Statt einzelne Tropfen auf den heißen Stein zu setzen, sollten Aktivist*innen darauf abzielen, anderen den Weg zu bereiten. Der Fokus muss darauf liegen, Strukturen zu schaffen, die langfristig tragfähig und inklusiv sind. Nur so kann die radikale Linke ihre Ideen in der Gesellschaft verankern und eine breite Basis mobilisieren. Indirekte Aktion – das Schaffen von Möglichkeiten für andere – ist der Schlüssel zu einer inklusiven und wachstumsfähigen Bewegung.
Literaturverzeichnis
- Unbeabsichtigte Folgen kollektiven Handelns, Franz Heuholz 2024
- Timenergy: Why You Have No Time or Energy, David McKerracher 2023
- Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt, Peter Kropotkin 1902