Wie lässt sich dieser Trump'sche, dieser alternative Zugang zur Realität auf einen Begriff bringen, um ihn zu fassen zu kriegen? "Fake-News" hat sich überholt, "Desinformation" beschreibt vor allem staatliche Propaganda. "Lügen" erfasst die medial-technische Dimension des Phänomens nicht. Doch nun haben Autoren des US-amerikanischen Magazins The Atlantic https://www.theatlantic.com/politics/archive/2025/06/israel-iran-trump-truth-social/683306/ einen geradezu genialen Vorschlag für ein neues Verb gemacht. Sie schreiben (hier eingedeutscht) von "truth socialn", abgeleitet von dem gleichnamigen sozialen Netzwerk, das ebenfalls von Donald Trump gegründet wurde: Truth Social.Truth socialn hat wunderbar viele Dimensionen. In dem Wort steckt die Freiwilligkeit, mit der sich Menschen einer Wirklichkeit wie der von MAGA anschließen. Es verweist auf die Netzwerke und Plattformen, in denen truth socialn gedeiht, und es betont das soziale Umfeld, in dem gruppenspezifische Wirklichkeiten existieren, die nur hier und da an der Realität oder an wissenschaftlichen Fakten haften. Die freie Wahl der WirklichkeitTrump und die Seinen, aber eben nicht nur sie, erreichen Menschen durch die Filter ihrer persönlichen Streams, durch Freunde, durch die von ihnen selbst unmerklich trainierten und dann auf sie eingestellten Algorithmen von TikTok, YouTube oder Instagram. In den USA ist das Phänomen ausgeprägter als in Deutschland, das ist seit Jahren gut erforscht und offensichtlich. Dennoch ist die Entwicklung auch hierzulande zu beobachten. Sie ist den großen Plattformen und Netzwerken einprogrammiert, und natürlich steht es jedem frei, verlässliche Nachrichtenquellen aktiv zu suchen und zu wählen, aber auch die Neigung, daran zu glauben, dass einen die wichtigsten Nachrichten schon irgendwie erreichen, nimmt eher zu. Je mehr sich ein Mensch darauf verlässt, umso eher lässt sich sein Zugang zur Welt als truth socialn beschreiben.Google verstärkt diese Entwicklung derzeit noch. Aus der Suchmaschine wird durch die von KI zusammengestellten Informationen gerade eine Antwortmaschine, die mal mehr, mal weniger erhellende oder präzise, aber in jedem Fall kurze Antworten gibt, die sich ganz oben und über der üblichen Ergebnisliste befinden. Erste Statistiken aus den USA deuten darauf hin, dass recht viele Menschen sich mit der von der KI gelieferten Antwort begnügen und seltener auf die zugehörigen oder auf die weiter unten aufgeführten Links klicken, um ein Dokument oder einen Artikel selbst zu lesen, auf den sich die KI-Antwort bezieht. Für diese Nutzer steht als Ergebnis eine verkürzte Antwort, und durch die in die KI hineinprogrammierten Wertvorstellungen eben auch eine soziale Wahrheit. Wer so googelt, truth socialt schon halb.Ein Symbol unserer Zeit20 Jahre lang war Googeln ein Sinnbild für die Suche nach Erkenntnis. Googeln stand für einen freieren Zugang zu Wissen, als es ihn je zuvor gegeben hatte. Nun war auch das immer nur ein Ideal, das von bezahlten Links und Suchmaschinenoptimierern beeinflusst wurde, die auf die eine oder andere Weise die Reihenfolge der Links veränderten. Aber es blieb eine Suche, die sich nun durch die KI in eine kümmerliche Antwort verwandelt, wo sich Menschen mit ihr begnügen. Und wer weiß, vielleicht wird darüber sogar das Verb googeln verblassen und seinen Platz für truth socialn freimachen, als Verb unserer Gegenwart.
Wer so googelt, truth socialt schon halb.