[img=860x484]https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2021/01/daniel-cartin-LgHNehAIcOs-unsplash-860x484.jpg[/img]Datenlabore für Ministerien, Forschung zu Datentreuhändern, Bildungsoffensive für Datenkompetenz: Die neue Strategie der Bundesregierung enthält viele gute Ansätze. Eine Vision aber, wie sie Daten in den Dienst von Gemeinwohl und Demokratie stellen kann, entwickelt sie nicht. Eine Analyse.
Datenstrategie der Bundesregierung: Die Richtung stimmt, aber der Weg ist noch weitHeute stellt die Bundesregierung ihre Datenstrategie vor. Ein gutes Jahr nach einer
Anhörung im Kanzleramt beschließt das Kabinett mehr als 200 Einzelmaßnahmen auf über 100 Seiten. Das Papier soll „verantwortungsvolle Datennutzung“ in Deutschland erhöhen und eine „Innovationsstrategie für gesellschaftlichen Fortschritt und nachhaltiges Wachstum“ darstellen, wie es im Untertitel heißt.
Nun ist Fortschritt ein relativer Begriff. Bei der Beurteilung eines solchen Papieres ist immer die Frage, welchen Maßstab man anlegt. Soll man die Datenstrategie an dem messen, was notwendig wäre? Dann muss das Urteil verhalten ausfallen. Über die Grundannahme hinaus, dass Datenteilen zu Wohlstandsgewinnen führt, entwickelt die Strategie keine eigene Vision davon, wie Daten in den Dienst von Gemeinwohl und Demokratie gestellt werden können. Viele treffende Problemanalysen werden nicht in konkrete Maßnahmen übersetzt.
Oder soll man den Beschluss an dem messen, was unter den gegebenen Bedingungen möglich war? Dann darf man durchaus positiv auf das Papier blicken. Denn wenn man die Datenstrategie mit anderen netzpolitischen Projekten der Regierung von Angela Merkel vergleicht, sticht sie auf jeden Fall hervor.
Nicht nur, weil einige der der mehr als 200 Maßnahmen durchaus ambitioniert sind: Datenlabore und Chief Data Scientists für Bundesministerien etwa, die Förderung von Forschungsdatenzentren und Zukunftsinfrastrukturen oder eine „Nationale digitale Lehroffensive“ für Datenkompetenz. Nein, einen Fortschritt stellt die Datenstrategie vor allem deshalb dar, weil sie einen gewissen Bruch mit der bisherigen Datenpolitik der Kanzlerin darstellt.
Ein bemerkenswerter Paradigmenwechsel
Statt sich weiter an der Frage festzubeißen, wie Unternehmen an mehr Daten von Bürger:innen kommen können, verschiebt sich mit diesem Papier der Fokus der Aufmerksamkeit. In der Datenstrategie geht es zwar auch noch um personenbezogene Daten, aber in erster Linie geht es darum, wie die Forschung verbessert werden kann, wie Unternehmen und andere Akteure zu Datenkooperationen gebracht werden können und wie der Staat im Umgang mit Daten fit gemacht wird.
Das klingt banal, aber man darf nicht vergessen: Das Papier stammt federführend aus dem CDU-geführten Kanzleramt. Mit dem Wirtschafts-, dem Innen-, dem Infrastruktur- und dem Forschungsministerium halten die Unionsparteien vier der fünf netzpolitisch wichtigsten Ressorts der aktuellen Regierung. Und es ist noch nicht so lange her, dass
Bundeskanzlerin Angela Merkel oder
Digitalstaatsministerin Dorothee Bär zur Datenpolitik nicht viel anderes einfiel, als über bremsenden Datenschutz zu lästern und die Menschen aufzufordern, endlich freigiebiger mit ihren Daten zu werden.
Der ewige Konflikt zwischen dem erhofften wirtschaftlichen Potenzial personenbezogener Daten und ihrem Missbrauchspotenzial soll nun offenbar nicht mehr dadurch aufgelöst werden, letzteres einfach zu ignorieren. Stattdessen will die Datenstrategie eine Vereinheitlichung der Rechtslage und Rechtsauslegung erreichen, Forschungs- und Zertifizierungsprojekte für Datentreuhänder und Anonymisierungssysteme fördern sowie Datenschutz durch Technikgestaltung voranbringen. Damit kann man arbeiten. Tatsächlich entspricht es in Ansätzen sogar dem, was wir bei der Sachverständigenanhörung vor einem Jahr gefordert haben:
„Öffentliche Daten nützen, private Daten schützen“.
Die Datenstrategie benennt in dem Strategiepapier sogar einige zentrale Probleme der Datenökonomie, auf die die Zivilgesellschaft schon lange hinweist: Manipulation und soziale Kontrolle, Diskriminierung und Ausschluss von Teilhabe, Datenmissbrauch und Dark Patterns. Dass Datenschutz und IT-Sicherheit nicht Hindernisse, sondern Grundlage für eine funktionierende Datengesellschaft sind, hat man in einem Kabinettsbeschluss so deutlich wohl noch nicht gelesen.
Auch dem Konzept eines Dateneigentums erteilt die Strategie eine klare Absage. Die umstrittene Idee hatte die Automobilindustrie vor einigen Jahren geschickt
bei Merkel und dem damaligen Verkehrsminister Alexander Dobrindt platziert, um sich das Recht zur Monetarisierung von Daten zu sichern, die von modernen Autos und ihren Fahrer:innen erzeugt werden. Datenschützer:innen warnen vor dem Ansatz, weil er eine weitere
Kommerzialisierung von persönlichen Daten mit sich brächte und den Grundrechtsschutz einschränken würde – mit Erfolg.
Kluge Analysen übersetzen sich nicht Maßnahmen
So weit also zum Fortschritt im Verhältnis zum Status Quo. Eine aus zivilgesellschaftlicher progressive Datenpolitik und eine Vision von einer gemeinnützigen Datenkultur ist damit allerdings noch nicht gemacht. Denn so bemerkenswert der eingeschlagene Weg ist: Konsequent zu Ende geht die Bundesregierung ihn nicht.
Die klugen Analysen zu den Schattenseiten der Datenökonomie etwa übersetzen sich kaum in konkrete Maßnahmen. Nur ein Beispiel: Zwar wird im Text die Notwendigkeit benannt, Beschaffungsrichtlinien für die öffentliche Hand so anzupassen, dass datenschutzfreundliche Technik bevorzugt wird, eine konkrete Maßnahme findet sich dort aber nicht.
Während die Unterkapitel zum Datenteilen für die Wirtschaft etliche Maßnahmen enthalten, hat man sie im Bereich zur Teilhabe schnell überblickt. Das Arbeitsministerium will zu Preisdiskriminierung forschen und das Justizministerium soll prüfen, ob Diskriminierung bei algorithmenbasierten Entscheidungen entgegengewirkt werden kann, indem man Anforderungen für Trainingsdaten definiert.
Das ist nicht falsch, aber es liegen längst viel weitergehende und konkretere Vorschläge auf dem Tisch, um die so treffend beschriebenen Schattenseiten zu bekämpfen. Damit bestätigt sich, was viele längst geahnt haben: Die zahlreichen
konkreten Vorschläge der Datenethikkommission werden, wie so viele Empfehlungen hochrangiger Gremien vorher, wohl in der Schublade verschwinden.
Keine Vision von einer digitalen Zivilgesellschaft
Am Ende bleibt die Datenstrategie ein in erster Linie wirtschaftspolitische Papier. Wenig überraschend ist, dass dabei ein Widerspruch nicht thematisiert, der die deutsche Netzpolitik seit Jahren prägt: Mit dem Innenministerium ist das gleiche Ministerium für die Sicherheit der Dateninfrastrukturen zuständig, das diese mit Geheimdiensten und staatlichem Hacking fortlaufend untergräbt. Vertrauen schafft man so nicht.
Noch dünner ist die Strategie nur dort, wo es konkret um die Zivilgesellschaft geht, also um mögliche Unterstützung für Vereine, Nichtregierungsorganisationen, Hack-Spaces, Datenjournalist:innen oder gemeinwohlorientierte Datenprojekte. Das Familienministerium soll mit einem Civic Data Lab den Datenaustausch im gemeinnützigen Sektor schaffen. Das Forschungsministerium soll sich stärker um Citizen Science bemühen. Und die Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege sollen bei der Digitalisierung unterstützt werden.
Das ist nicht nur im Verhältnis zu den Maßnahmen wenig, mit denen die Regierung das Datenwesen in Forschung und Wirtschaft fördern will. Von einer digitalen Zivilgesellschaft hat diese Bundesregierung offenbar keine Vision. Das ist schade für all die vielen Menschen und Initiativen, die schon heute überall im Land mit Daten an einer besseren Zukunft arbeiten.
Ein Chief Data Scientist macht noch keinen Fortschritt
Umso mehr wird der Erfolg der Datenstrategie deshalb daran zu messen sein, ob es gelingt, eines ihrer wichtigsten Versprechen umzusetzen: Den Staat zum Vorreiter zu machen. Auch hier überzeugt zunächst die vorangestellte Problemanalyse: „Die Bund-Länder-Plattform GovData.de, die eine Übersicht über vorhandene offene Datensätze gewährt, entwickelt sich nicht ambitioniert genug.“ Bis heute rangiert Deutschland im internationalen Vergleich bei Open Data bestenfalls im Mittelfeld.
Die geplanten Chief Data Scientists und Datenlabore für jedes Bundesministerium mögen ebenso wie die Fortbildungen der neuen Digitalakademie für die Verwaltung dazu beitragen, Datenanalysen und damit evidenzbasiertes Regieren im Bund voranzubringen. Um es klar zu sagen: Wenn auch nur die Hälfte von dem vernünftig umgesetzt wird, was hier versprochen wird, ist das im Verhältnis zum Status Quo ein Quantensprung.
Doch auch diesen Weg geht die Datenstrategie nicht zu Ende. Dass Ministerien effizienter mit Daten arbeiten, führt noch nicht automatisch zu einer besseren Politik. Teilhabe und Demokratie werden durch offene Daten gefördert. Der einfachste Weg, den Staat hier zum Vorreiter zu machen, wäre ein Transparenzgesetz gewesen. Stattdessen aber wird es nur ein zweites Open-Data-Gesetz geben und das Versprechen, dass das GovData-Portal dieses Mal wirklich mit mehr Daten befüllt wird.
Das wäre ein Fortschritt, nur eben nicht weit genug.
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