Was ich um mich herum erlebe, ist dass diese Thematik nicht trivial ist und immer wieder von neuem in der Gesellschaft ausgehandelt werden muss.
Einerseits gibt es die "sicheren Felsen in der Brandung".
Die werden in der Gesellschaft als solche, als verlässliche Pfeiler der Tradition wahrgenommen. Auf sie wird Bezug genommen und verwiesen. Man ist ihnen dankbar dafür, dass sie dem ursprünglichen Sinn der Sache treu bleiben. Heshikiya Eisa, um ein Beispiel zu nennen, das sich weigert, #
Eisa an anderen Anlässen als dem Obon zu praktizieren, den Festlichkeiten, an denen die verstorbenen Ahnen mit dem Eisa-Tanz willkommen geheissen und wieder verabschiedet werden. Die einzige Ausnahme eines Anlasses, wo es trotzdem mitmacht, ist das Zentō Eisa Festival, das es seit 1965 gibt. Auslöser für diese Veranstaltung war die Verhängung der Wirtschaftsblockade Off Limits durch die US-Regierung. Die ehemalige Stadt Koza, in der Eisa schon immer sehr beliebt war, organisierte auf Initiative der Industrie- und Handelskammer einen Wettbewerb zur „Wiederbelebung des lokalen Handels mit Eisa“. Inzwischen wird es als Plattform verstanden, wo die verschiedenen Eisa-Gruppen sich in respektvollem Wetteifern miteinander austauschen können.
Ein anderes Beispiel ist Gushikawa #
Shishimai. Es praktiziert den Löwentanz nur zur Vollmondnacht Juuguya (15. Tag des 6. Mondes), weil dieser Tanz integrativer Bestandteil der von der lokalen Dorfgemeinschaft durchgeführten Mondschau ist, bei der dem Butsudan und Hinukan (der Gottheit des Feuers) mit Azuki-Bohnen beklebte Fuchagimuuchii dargeboten werden.
Auch hier wieder mit der Ausnahme des Zentō Shishimai Festivals, das als Pendant zum Zentō Eisa Festival ins Leben gerufen wurde.
Es liegt in der Natur von Tanz und Musik, dass diese an sich attraktiv sind. Die Verlockung, in Bräuche eingebettete Tänze und Musiken aus diesen herausgelöst darzubieten (des eigenen Ruhmes wegen, oder in modernen Zeiten zwecks Sichtbarkeit, die nötig ist, um gegen die schwindende Zahl der Mitglieder anzukämpfen) oder gar kommerziell auszuschlachten, ist gross. Das sind die Herausforderungen, denen sich die Wahrer und Vermittler der Bräuche auch hier auf #
Okinawa immer wieder stellen.
...diese Rituale haben nicht explizit mit Tanz zu tun...
und doch kommen darin Tänze und Musik zum Einsatz. Vielleicht sogar, ganz ohne dass sie Tänze und Musik genannt werden. Vielleicht werden sie einfach als zum Ritual gehörige Handlungen und Gesten angesehen.
Je näher am Ursprung eines Brauchs, desto eher wird das Verständnis das oben Genannte sein. Hat die Fasnacht explizit mit Masken und Musik zu tun? Schaut man ins Lötschental, wird es das oben genannte Verständnis sein. Schaut man nach Basel, Luzern, Rio etc., wird das Verständnis ein anderes sein. Es ist eine Frage nach der Vermittlung, der Art des Weitergabe des Brauchs.
Wird bei der Weitergabe der Fokus "explizit" auf Tanz, Musik, Masken und Kleidung gelegt, dann nehmen diese Aspekte mit der Zeit viel Raum ein, einige mögen vielleicht sagen zu viel Raum. Ist eine solche Sorge berechtigt?
Schaue ich in die USA, wo Thanksgiving "explizit" mit Truthahn und Weihnachten "explizit" mit Coca-Cola-Werbemännern zu tun hat, würde ich sagen, dass eine solche Sorge durchaus berechtigt ist.
Die Vermittler sorgen sich um den Brauch. Ja nicht mal das. Sie, zusammen mit der ganzen Gemeinschaft, sorgen sich ja ums Wohlergehen und den Fortbestand der lokalen Gemeinschaft. Der Brauch ist nur die Form, die diese Sorgearbeit einnimmt. Das ist der Clou. Ein Brauch hat ursprünglich und hoffentlich immer noch "explizit" mit einer Sorgearbeit zu tun: Zum Beispiel soll der Winter vertrieben oder soll Dankbarkeit für die gute Ernte an den Tag gelegt werden, weil es für das Wohlergehen und den Fortbestand der lokalen Bevölkerung zentral ist...
Diese Sorgearbeit ist hier auf den Ryūkyū-Inseln zentral. Ich denke, das ist der Schlüssel zum Verständnis, warum hier traditionelle Kultur so lebendig erhalten ist, während sie andernorts leider kaum noch von der Bevölkerung gelebt wird.