Zweifellos war das Jahr 1945 der Höhepunkt im Leben von Vannevar Bush, in jedem Fall die Klimax dessen, was man sein âöffentliches Wirkenâ nennen könnte. Im Juli erschien sein Report âScience â The Endless Frontierâ, in dem die Notwendigkeit einer nationalen Forschungspolitik skizziert war, fast gleichzeitig der Aufsatz âAs we may thinkâ im âAtlantic Monthlyâ.
created: 2024-03-20T11:23:04 (UTC +01:00)
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https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/computerweltschoepfer-vannevar-bush-der-heisse-krieger-14296603.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2author: F.A.Z.
Computerweltschöpfer Vannevar Bush: Der heiĂe Krieger
Excerpt
Vannevar Bush sah nicht nur Hyperlink und Desktop voraus. Im Denken des MilitÀrstrategen verdichteten sich Atombombe und Computer zu einer tödlichen Einheit: dem militÀrisch-industriellen Komplex.
Zweifellos war das Jahr 1945 der Höhepunkt im Leben von Vannevar Bush, in jedem Fall die Klimax dessen, was man sein âöffentliches Wirkenâ nennen könnte. Im Juli erschien sein Report âScience â The Endless Frontierâ, in dem die Notwendigkeit einer nationalen Forschungspolitik skizziert war, fast gleichzeitig der Aufsatz âAs we may thinkâ im âAtlantic Monthlyâ. Darin beschrieb Bush eine Memex genannte Apparatur, mit der ein Mensch, vor einem Bildschirm sitzend, sich durch eine gigantische Bibliothek hindurchbewegen, nein, mehr noch: mit der er seine Bewegung durch das Weltgehirn aufzeichnen und der Nachwelt hinterlassen kann. Mochte dies den Amerikanern noch wie Science-Fiction vorgekommen sein, brannte sich ihnen der Name des Verfassers kaum einen Monat spĂ€ter unauslöschlich ein. Denn im aufsteigenden Staubpilz ĂŒber der Stadt Hiroshima löste sich ein, wofĂŒr Bush als wissenschaftlicher Koordinator des Manhattan Project jahrelang gearbeitet hatte, ohne das Wissen der Ăffentlichkeit, ja selbst seiner eigenen Frau.
Was aber ist öffentliches Wirken, wenn es mit dem GedĂ€chtnis an Hiroshima verschmilzt? Von Robert Oppenheimer, dem Vater der Atombombe, ist der Ausspruch ĂŒberliefert: âJetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten.â Von Vannevar Bush gibt es kein Reuebekenntnis. Im Gegenteil. Mit seiner schnarrenden Stimme, die grenzenlose Selbstgewissheit und Arroganz verriet, wurde er nicht mĂŒde, der Welt auch weiterhin Lehren zu erteilen. So mag es naheliegen, im âGeneral der Physikâ (wie ihn die âTimesâ tituliert hat) eine Art Dr. Seltsam der Technokratie zu sehen: den Mann, in dem sich die Bombe, der Computer, aber auch der militĂ€risch-industrielle Komplex zu einer tödlichen Einheit verdichten.
âWenn du ein Problem nicht lösen kannst, vergröĂere es.â
Mag sein, dass der Krieg der Vater aller Dinge ist. Ebenso gut aber kann man die Zeugung des Computers als einen Kathedralenbau auffassen, eine gemeinschaftliche Aufgabe, die sich ĂŒber Generationen erstreckt. In diesem Generationenprojekt kommt Vannevar Bush eine besondere Rolle zu, fĂŒhrt er doch jene Metempsychose vor, die aus dem Pionier des neunzehnten Jahrhunderts den Technokraten des zwanzigsten Jahrhunderts macht. Diese Geschichte beginnt mit der Auflösung des Raums, bei der das gelobte Land (die âFrontierâ) nicht mehr im Wilden Westen, sondern in jenen geistigen RĂ€umen verortet wird, die von der Radiophonie, dem Telefon und der ElektrizitĂ€t aufgeschlossen werden.
1890 in Everett bei Boston geboren, als Sohn eines universalistischen Pastors und Freimaurers, kannte Vannevar Bush keine andere Grenze als den Himmel. So entwickelte das krĂ€nkliche Kind den Drang, die Welt mit neuartigen Gadgets zu beglĂŒcken. Da der Vater die Familienersparnisse fĂŒr die Erziehung der beiden Ă€lteren Schwestern aufgebraucht hatte, war der aufgeweckte Knabe schon frĂŒh mit der Notwendigkeit konfrontiert, die Karriere in die eigenen HĂ€nde zu nehmen. Da sich die Mathematik unter seinen geschickten HĂ€nden stets in ein Gebrauchsding verwandelte, meldete der zweiundzwanzig Jahre alte Selfmademan ein Patent fĂŒr ein GerĂ€t zur GelĂ€ndeprofilerfassung an. Nach Erfahrungen bei General Electrics und einer Beteiligung beim Radiopionier AMRAD grĂŒndete er im Alter von 32 Jahren eine Firma, die der Pfarrerssohn passenderweise göttlicher Strahl (
Raytheon) taufte.
Vertrieb die Firma anfangs ein ZusatzgerĂ€t, mit dem batteriebetriebene Radios sehr viel kostengĂŒnstiger genutzt werden konnten, musste sie sich, mit wachsendem Erfolg, der Boykottversuche gröĂerer Hersteller erwehren. Bush reagierte nach der Maxime: âWenn du ein Problem nicht lösen kannst, vergröĂere es.â Folglich beschrĂ€nkte sich die Firma nicht mehr auf die Lieferung eines Zubehörteils, sondern attackierte die Gegner dadurch, dass sie selbst eines der ersten Transistorradios entwickelte.
Bahnbrechende Projekte im Mantel der Arroganz
Die frĂŒhe finanzielle UnabhĂ€ngigkeit verstĂ€rkte Bushs ohnehin höchst ausgeprĂ€gte Arroganz. Denn nun sah er gar keinen Grund mehr, seine höchst abschĂ€tzigen Meinungen ĂŒber andere Menschen hinter freundlichen Floskeln zu verbergen. Das Einzige, was ihm imponierte, war die bessere Lösung, eine Haltung, die sich spĂ€ter zur Ăberzeugung auswachsen sollte, gleichsam einer natĂŒrlichen Geistesaristokratie anzugehören. Da Bushs finanzielle Sorgen gelöst waren, zeigte sich, dass seine intellektuelle Neugierde noch gröĂer war als das pekuniĂ€re Interesse. So begann er seit 1927 an einem analogen Computer zu arbeiten, dessen Aufgabe in der Lösung von Differentialgleichungen bestand. Wie jede seiner Erfindungen antwortete auch dies auf eine Notwendigkeit. Denn baut man eine BrĂŒcke und möchte wissen, wie sich die Stahlkonstruktion bei bestimmten Windbedingungen verhĂ€lt, muss man Differentialgleichungen lösen â was ohne Hilfsmittel eine extrem zeitaufwendige Aufgabe ist. Da Bushs Arbeiten von Erfolg gekrönt waren, wurde er zum weltweit fĂŒhrenden Pionier der analogen Computer. Die Maschine, die er im Jahr 1931 entwarf, hatte monströse AusmaĂe. Sie wog 100 Tonnen, bestand aus 2000 elektrischen Röhren, 150 Motoren und 200 Meilen elektrischem Draht.
Mit der Ernennung Bushs zum Dekan der Ingenieurwissenschaften am Massachusetts Institute of Technology verlagerte sich sein TĂ€tigkeitsfeld von persönlichen zu gemeinschaftlichen Projekten. Seiner gefĂŒrchteten Arroganz und seiner No-Bullshit-AttitĂŒde zum Trotz, war er seinen Studenten ein groĂartiger Helfer: ein geduldiger Beobachter, der fĂ€hig war, eine Sache auf ihren Kern hin zu durchleuchten. So wurden unter seiner Ăgide bahnbrechende Projekte befördert, von der aufkommenden Radartechnik, kryptologischen Maschinen, bis hin zu ersten Solarkollektoren. Aus der Perspektive des Wissenschaftsmanagers stand ihm, als er Mitte der dreiĂiger Jahre mit der Miniaturfotografie (den sogenannten âMikrofichesâ) in BerĂŒhrung kam, sogleich jene kommunikative Apparatur vor Augen, die sich in seiner Phantasie zu einer Weltintelligenz, dem Memex-Apparat, auswachsen sollte.
Die Idee des Arbeits- und Bildungsspeichers
Gleichwohl blieb es nicht bei der Vision. 1937 entstand mit dem âRapid Selectorâ ein Prototyp, der es ermöglichte, in einer Mikrofilmbibliothek die gesuchte Information aufzufinden. Wichtiger aber war das intellektuelle Paradigma. Wenn das Weltwissen auf einem Schreibtisch abgelegt werden kann (zudem kopierbar ist), ist es nur logisch, dass man nicht nur das Suchen und Finden von Informationen, sondern auch die Art der VerknĂŒpfung zum Gegenstand des Wissens macht. Folglich sind nicht nur die Dokumente, sondern auch die Pfade von Bedeutung, die von einem Gegenstand zum nĂ€chsten fĂŒhren. Wenn diese Vorwegnahme des Hyperlinks noch in den achtziger und neunziger Jahren begeisterte AnhĂ€nger finden sollte, so deswegen, weil Vannevar Bushs Memex der Schrift ein GedĂ€chtnis verleiht, ebenso wie es die Bibliothek zum Echo- und Erinnerungsraum ihrer Benutzung macht. In der Memex-Apparatur tritt die Wissenschaft als Kommunikationsraum hervor, der sich nicht im GedĂ€chtnistheater und in der Performance erschöpft, sondern immer wieder neu erlebt werden kann: ein Arbeits- und Bildungsspeicher.
Freilich: der Stellenwert, den die Wissenschaften in Gesellschaft und Politik einnahmen, war mehr als beklagenswert. Mochte die Technikblindheit unter ökonomischen Gesichtspunkten schon beklagenswert genug sein, war sie vor dem Prospekt des nahenden Krieges nachgerade bedrohlich. Schon der Erste Weltkrieg hatte Bush gelehrt, âwie man auf keinen Fall einen Krieg fĂŒhren solleâ. Damals hatte der junge Mathematiker zusammen mit dem Physiker und spĂ€teren NobelpreistrĂ€ger Robert Milikan an einem GerĂ€t zur Ortung deutscher U-Boote gearbeitet. Zwar war es ihm gelungen, ein lauffĂ€higes GerĂ€t zu entwickeln, dennoch war es nie zum Einsatz gekommen.
Aufstieg zum Zar der amerikanischen MilitÀrtechnologie
Und warum? Weil der junge Entrepreneur nicht zu den UniformtrÀgern gehört und keine Regierungsgelder angenommen hatte. Trotz des nahenden
Zweiten Weltkrieges hatte sich an der Ignoranz der Machthaber nichts verĂ€ndert. Academia war ein friedliches Eiland - und die amerikanische RĂŒstungsindustrie, im Vergleich zum militĂ€risch-industriell-akademischen Komplex NS-Deutschlands, hoffnungslos rĂŒckstĂ€ndig. Bush hingegen, der die technischen Entwicklungen im Feindesland zur Kenntnis nahm, war sich darĂŒber im Klaren, dass nicht âMenschenmaterialâ, sondern die Maschinen der Wissenschaft kriegsentscheidend sein wĂŒrden. Und weil er seinen Platz nicht mehr an der Spitze einer UniversitĂ€t, sondern im Einsatz fĂŒrs Vaterland sah, kam es zu jener neuerlichen Metamorphose, bei der sich der Wissenschaftsmanager zum heiĂen Krieger, ja zur GrĂŒndungsfigur des militĂ€risch-industriellen Komplexes wandelte.
1939 zum PrĂ€sidenten der Carnegie Institution of Washington gewĂ€hlt, tauchte der Mann, der in seinem Leben kaum ĂŒber Boston hinausgekommen war, nun in das Haifischbecken des Washingtoner Politikbetriebs ein. Als erste MaĂnahme verwandelte Bush das Institut in eine schlagkrĂ€ftige Batterie, die ausschlieĂlich Hard-Science-Projekte unterstĂŒtzte. Da er ĂŒber beste Kontakte in die Wissenschaft, aber auch zu GroĂunternehmen wie AT&T oder Bell Labs verfĂŒgte, bereitete ihm dies keine Probleme. Weit schwieriger indes war es, eine provinziell denkende Politikerschar (âlanghaarige Idealisten und Gutmenschenâ) davon zu ĂŒberzeugen, den Kriegsschauplatz nicht auf dem Schlachtfeld, sondern in den Labors und den Köpfen höchst fragwĂŒrdiger Eggheads zu verorten. Dass es einem Zivilisten und politischen Nobody gelingen sollte, binnen kurzem zum âZaren der amerikanischen MilitĂ€rtechnologieâ aufzusteigen â einem Zaren, der ĂŒber ein riesiges Forschungsbudget verfĂŒgte und von dem es hieĂ, er âkönne den Krieg gewinnen oder verlierenâ â, war eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Dennoch dauerte es keine zwei Jahre, bis Bush auch Washington fĂŒr sich erobert hatte.
Die Geburt des militÀrisch-industriellen Komplex
Dass ihm dies gelang, war Resultat eines persönlichen Blitzkrieges. Anstatt sich mit zweitklassigen Apparatschiks aufzuhalten, kam es, ĂŒber die Vermittlung von Frederic Delano, dem Onkel von Theodore Roosevelt, zu einem 15-Minuten-GesprĂ€ch mit dem PrĂ€sidenten. Dabei legte Bush den Plan einer nationalen Forschungsagentur vor. Roosevelt, der seine Besorgnis ĂŒber die militĂ€rische RĂŒckstĂ€ndigkeit der Vereinigten Staaten teilte, bejahte seinen Plan auf einer Serviette: âOK FDRâ. Damit war Vannevar Bush zum Leiter des Office of Research and Development befördert, einer Ein-Mann-Armee, die dem PrĂ€sidenten direkt unterstellt und keiner weiteren Behörde rechenschaftspflichtig war.
FĂŒr die MilitĂ€rs war dieser knorrige Wissenschaftskrieger eine höchst befremdliche Erscheinung. Dass er sich zur Entspannung auf dem Potomac-BogenschĂŒtzen Club vergnĂŒgte und mit der Pfeil-und-Bogen-Technik des vierzehnten Jahrhunderts Erholung suchte, war ebenso sonderbar wie der Umstand, dass er seine Vereinskollegen sogleich mit einem verbesserten Bogen beglĂŒckte. Wovon man allerdings nicht absehen konnte, waren Bushs Resultate. Das erste Gebiet, auf dem er sein Können eindrucksvoll bewies, war der Radar. Waren die deutschen U-Boote zunĂ€chst so ĂŒberlegen, dass sie nach dem Kriegseintritt der Amerikaner binnen Monatsfrist gleich 107 Schiffe versenkten, gelang es dem von Bush beauftragten Labor, die Verluste binnen weniger Monate auf ein Zehntel zu begrenzen.
Die zweite, kriegsentscheidende Innovation war der funkgesteuerte AbstandszĂŒnder. Mit diesem GerĂ€t lieĂ sich die Sprengkraft der amerikanischen Bomben steigern, und zwar dadurch, dass die Bombe mittels eines eingebauten Sensors immer dann gezĂŒndet wurde, wenn ihre Wirkung am verheerendsten war. Mit dieser Wunderwaffe hatten die Amerikaner dem deutschen Marschflugkörper V1 etwas entgegenzusetzen. Zum groĂen Erstaunen der MilitĂ€rs waren die BeitrĂ€ge der Wissenschaftler sehr viel wirksamer als gedacht. Auch der begriffsstutzigste Oberst sah nun ein, dass die AktivitĂ€ten Vannevar Bushs einen kriegsentscheidenden Faktor darstellten. Einen Faktor zudem, der auf mirakulöse Weise die lange Depression der dreiĂiger Jahre beendete. So kam es zur Geburt des militĂ€risch-industriellen Komplexes.
Weil alles, was Bush vorschlug, realisiert wurde, war es auch keine Frage, dass man nur ihn (gemeinsam mit dem General Leslie Groves) mit dem hochgeheimen Manhattan Project betrauen konnte. Obwohl Bush dem Uran-Kopfschmerz nicht sonderlich wohlwollend gegenĂŒberstand, bewies er auch hier jene gnadenlose Effizienz, die allein an konkreten und kriegsentscheidenden Lösungen interessiert war. Weil er trotz allem ein Mann der Wissenschaft blieb, gelang ihm das KunststĂŒck, seine Wissenschaftler-Armee vor den Interventionen der MilitĂ€rs zu bewahren, um den Preis allerdings, dass nun sie zur Verkörperung jenes Weltgehirns wurden, zu jener Macht, deren Geistesblitz darin bestand, Hiroshima dem Erdboden gleichzumachen.
Nimmt man das VermĂ€chtnis des Vannevar Bush, lĂ€sst sich sagen, dass die Psychologie des Dr. Strangelove so wenig zutrifft wie die Behauptung, dass der Computer ein Produkt des Zweiten Weltkrieges ist. Stattdessen begegnet man einer Reihe von Paradoxa: Zwar war Vannevar Bush der Stifter des âmilitĂ€risch-industriellen Komplexesâ, aber ebenso kann man ihn als den BegrĂŒnder jener Weltintelligenz auffassen, die sich im Hypertext oder in der Open-Source-Bewegung artikuliert. Eine Mischung aus idealistischem Denker und kreativem Zerstörer. Ein Geistesaristokrat, der seinen Mangel an Geschichtsbewusstsein mit einer Begeisterung fĂŒr die Sonne und die Energieffizienz kompensierte. Ein Anti-Etatist in Diensten des Staates, allein dem Individuum verpflichtet und jenem göttlichen Strahl, der nicht mehr in der Religion, sondern in den Köpfen der Menschen entsteht: die WĂŒste Hiroshimas oder die VerheiĂung einer besseren Welt.